: Künftig eine ganz normale Transaktion im Puff
■ Ein Gütesiegel an der Bordelltür und die Gründung der Hurenkooperative „Prosex“ nehmen die in den Niederlanden für 1996 geplante Legalisierung vorweg
Das zierliche „E“ an der Hauswand ist der Beweis: Der Erotik- TÜV war da. Seit einigen Wochen erkennt der Besucher eines „Relax“-Unternehmens in den Niederlanden an diesem Gütesiegel, daß das Etablissement seiner Wahl minimalen Hygiene- und Sicherheits- standards sowie Anstandsregeln genügt. Ein absolutes Novum. „In keinem Land der Welt gibt es bisher eine solche Prüfplakette“, freut sich Henk Klein Beekman vom Vorstand der Stiftung „Erotikeur“. Vier Jahre lang haben der Klubinhaber und seine MitstreiterInnen aus der Hurenorganisation „Roter Draht“ und dem Bordellbetreiberverband VER an den Kriterien gebastelt: saubere Bettwäsche, garantiert keine Drogen, Respekt vor den Frauen, Wahrung der Intimsphäre des Kunden, Kondompflicht. Und wenn alles getan ist, gibt's 'ne Quittung.
Knapp 30 der 350 VER-Klubs sind schon im Besitz der Vignette, sie kostet 4.000 Gulden (3.600 Mark) – für ein Jahr, dann kommt die Inspektion. Die Stadt Amsterdam nimmt das neue Qualitätskriterium sehr ernst: Klubs, die sich im kommenden Jahr nicht dem Sex-Tüv stellen, droht über kurz oder lang die Schließung.
Mit der Einführung der Plakette nehmen die Kommunen die für 1996 geplante Aufhebung des Prostitutions- und Bordellverbots in den Niederlanden vorweg: Der Puff soll sich in ein ganz normales Dienstleistungsunternehmen verwandeln, der „Akt“ eine gewöhnliche Transaktion werden. Steuern sollen abgeführt, Arbeitszeiten klar geregelt, Sicherheitsauflagen eingehalten, Pausenräume vorgeschrieben und ein eigener Gesundheitsdienst eingerichtet werden.
Frühere Versuche, das Gewerbe zu legalisieren, waren stets am Widerstand der Konservativen in der Regierung gescheitert. Für die Christdemokraten war die Vorstellung, ein Bordellbetreiber könnte mit einem Bäcker gleichgestellt werden, der Anfang von Sodom und Gomorrha. Die heutige, „lila“ Koalition aus Linksliberalen, Sozialdemokraten und Rechtsliberalen jedoch hat sich vorgenommen, die Sex-Arbeit aus dem kriminellen Milieu herauszuholen. Nur die völlige Legalisierung, so inzwischen die Meinung im Haager Kabinett, könne bewirken, daß das Geschäft mit der Lust nicht länger in einem Atemzug genannt wird mit Glücksspiel, Drogen- und Waffenhandel. Die heutige Regelung, nach der Prostitution faktisch toleriert wird, unterminiere das Strafrecht ohnehin nur.
Statt Rotlichtbezirk und Strich weiterhin stillscheigend zu dulden, sollen Städte und Kommunen nach Vorstellung der Regierung Gewerbescheine ausstellen – und illegales Anschaffen vor allem osteuropäischer Frauen sowie die Beschäftigung von Minderjährigen und Frauenhandel streng ahnden.
Ein weiteres Indiz für die baldige Legalisierung ist die Gründung der Hurenkooperative „Prosex“. Sie kam im September auf Initiative des Gewerkschaftsdachverbandes FNV zustande, um die 30.000 SexarbeiterInnen des Landes künftig wie in jeder anderen Branche auch in den Genuß der Leistungen des Sozialversicherungssystems zu bringen. „Prosex“ versteht sich als Interessenvertretung, aber auch als Arbeitsvermittlung und Schiedsstelle zwischen Huren und Bordellinhabern.
Bitte keine Post von der Hurengewerkschaft ...
Die Kooperative kümmert sich nicht nur um Steuerabgaben und Sozialbeiträge ihrer Mitglieder, sondern handelt mit den Bordellbetreibern auch die Arbeitsbedingungen aus. Nach einem Modellvertrag stellt der Klubinhaber fortan den Arbeitsplatz bereit und diese Dienstleistung der selbständig arbeitenden Hure in Rechnung; lohnabhängige Beschäftigung darf nicht sein – schon um auszuschließen, daß ein „Arbeitgeber“ die Erledigung einer Arbeit verlangt, die sexuelle Gewalt beinhalten könnte. Für Sadomaso- Spiele gelten ganz besondere Regeln: Die Meisterin muß sich für die Sicherheit des ihr Untergebenen verbürgen, die Schlüssel von eingesetzten Schlössern sollten an einem sichtbaren Ort aufbewahrt werden. Sind Metallgegenstände im Spiel, ist das Vorhandensein eines Bolzenschneiders Pflicht.
Noch hält sich die Resonanz in Grenzen: Huren sind es nicht gewohnt, sich zu organisieren, ihre Kultur ist die des Wettbewerbs. Auch möchten die meisten lieber anonym bleiben. „Ich werde einen Teufel tun und Beiträge zahlen“, so eine Reaktion auf dem Amsterdamer Zeedijk. „Ich will doch nicht, daß mir der Briefträger Post von der Hurengewerkschaft zustellt.“ Henk Raijer, Amsterdam
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