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Herzog will Kühe schlachten

■ Der Streit um Sozialleistungen und Arbeitszeit verschärft sich. Bundespräsident Herzog plädiert für mehr Teilzeitarbeit, Rita Süssmuth verlangt "neues Denken"

Bonn/Hamburg (dpa/AP/taz) Der Konflikt um den Sozialstaat Deutschland treibt auf einen neuen Höhepunkt zu. Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit nahmen konservative Politiker den Jahreswechsel zum willkommenen Anlaß, um die Deutschen aufzufordern, 1996 Abschied von gewohntem Verhalten zu nehmen. Demgegenüber verlangte SPD-Chef Oskar Lafontaine einen „nationalen Beschäftigungspakt“.

Bundespräsident Roman Herzog forderte die Bundesbürger auf, Abschied von gewohnten Mustern zu nehmen. „Es müssen hier uralte heilige Kühe geschlachtet werden.“ Eine der heiligen Kühe sei die Arbeitszeit, sagte Herzog der Bild am Sonntag. Über Teilzeitarbeit und Job-sharing müsse mehr diskutiert werden. „Wir können die Zukunft nicht mit den Arbeitszeitforderungen der Vergangenheit lösen.“ Zu Wort meldeten sich auch Kanzler Kohl, der mehr Arbeitsplätze schaffen will, ohne zu sagen wie, und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die Besitzstände antasten möchte, aber dabei sozial ausgewogene Lösungen bevorzugt. In ihrer Neujahrsansprache ermutigte Süssmuth die Deutschen zu „neuem Denken“ und unkonventionellen Lösungsansätzen. Das von den Gewerkschaften vorgeschlagene „Bündnis für Arbeit“ solle „vorurteilsfrei“ geprüft werden. Deutschland könne kein Billiglohnland werden, deshalb müsse der Standort im Wettbewerb verbessert werden.

SPD-Chef Oskar Lafontaine sprach sich für einen nationalen Beschäftigungspakt aus. Mit ihrem Vorschlag für ein „Bündnis für Arbeit“ hätten die Gewerkschaften ihren Teil dazu getan. „Jetzt müssen Bundesregierung und Wirtschaft handeln, sonst steigt die Arbeitslosigkeit weiter“, sagte der saarländische Ministerpräsident.

Kritik an der Initiative der Gewerkschaften kam dagegen von Otto Graf Lambsdorff. Es sei zwar gut, daß der Gewerkschaftschef einen Zusammenhang zwischen zu hohen Arbeits- und Lohnkosten und Arbeitslosigkeit anerkenne, aber der Vorschlag reiche nicht aus, sagte er. Außerdem sei er mit unerfüllbaren Bedingungen versehen, etwa der Garantie der Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen oder der Streichung der Kürzung der Arbeitslosenhilfe. klh

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