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Herrmann, der Cherusker, war ein Römer

■ Die Ausstellung „Rom an der Niederelbe“ im Helms-Museum untersucht die Zeit komplizierter, kultureller Veränderungen zwischen den germanischen Völkern und dem Römischen Reich im ersten Jahrhundert

Heute liegt die Grenze zwischen Norden und Süden beim Pizzabäcker um die Ecke, aber bereits vor zweitausend Jahren erforschten Römer die Unterelbe und segelten bis Helgoland. Hamburg wurde nicht von den Römern gegründet, aber auch hier fand man antike Schätze: In Lokstedt konnten schon im vorigen Jahrhundert zwei Goldsolidi des Kaisers Arcadius vom Ende des vierten Jahrhunderts ausgegraben werden.

Die sind nicht einem freundlichen Sizilianer beim Tanzen aus der Tasche gefallen, die zahlreichen Funde italischer Kunst in Norddeutschland sind Grabbeigaben von Elbgermanen, die Kontakt mit der damaligen Weltmacht Rom und ihrer überlegenen Zivilisation hatten. Die Archäologie fand inzwischen so viele Objekte, die als Söldnerlohn, Ehrengeschenke und Mitbringsel hier in den Norden kamen, daß das Harburger Helmsmuseum sich zum überraschenden Ausstellungstitel Rom an der Niederelbe ermuntern ließ und eine Zeit komplizierter kultureller Veränderungen dokumentieren kann.

Die undurchdringlich bewaldeten und sumpfigen Gebiete Nordgermaniens blieben (leider) für die Römer unbeherrschbar, ihre Bewohner vernichteten in der legendären Varusschlacht im Jahre 9 u.Z. drei römische Legionen. Das Datum wurde so etwas wie ein Gründungsmythos der germanisch-deutschen Nation und Arminius als „Herrmann der Cherusker“ zu einem Nationalhelden stilisiert. So steht er mit zum Himmel gerecktem Schwert seit 1875 riesengroß als Denkmal im Teutoburger Wald.

Doch schon 1535 schreibt Georg Spalatin, der Prinzenerzieher des Harburger Herzogs Otto I., eine Verherrlich-ung des Armini-us als Vorkämp-fer der deutschen Freiheit, hier im reformatori-schen Sinne. Das seltene Büchlein befindet sich als Teil der ehemaligen herzog-lich harburgschen Bibliothek ebenfalls im Helmsmuseum.

Nicht nur Arminius wurde legendär. Auch über den Ort der Schlacht gab es 700 Hypothesen. Eine inzwischen achtjährige Ausgrabungskampagne läßt nun keinen Zweifel mehr: Was der berühmte Historiker Theodor Mommsen schon 1885 vermutete, verdichtet sich zur Tatsache: die Schlacht fand um Kalkriese bei Bramsche im Osnabrücker Land statt.

Von dort kommt auch das spektakulärste Ausstellungsstück: Die versilberte Maske eines eisernen römischen Gesichtshelms. Die archäologische Feldarbeit und deren zwingendeAusdeutung ist in der Ausstellung teils in Fundstücken präsent, teils im Videofilm nachzuvollziehen.

Der germanische Sieg über Varus ging zwar in die Annalen ein, blieb politisch aber ohne direkte Folgen. Die kulturelle Macht des gefestigten römischen Reiches in Ostgallien und am Niederrhein war ungebrochen domi-nant. Arminius selbst war römischer Bürger und Offizier im Ritterrang, also eher Aufständischer als Führer des freien Germanien.

Die Germanenstämme dachten nicht nationalräumlich und verbanden sich immer wieder wechselnd zu losen Bündnissen. Schon 47 u.Z. setzt Kaiser Claudius wieder einen Italicus als König der Cherusker ein, mit römischem Geld, römischer Leibwache und langobardischen Hilfstruppen. Erst mehr als dreihundert Jahre später beginnen die Völker des Nordens, das römische Reich zu erobern.

Handel und Söldnerwesen versorgten bis dahin die Germanen mit Luxusgütern wie Trinkgeschirr, Perlen, Elfenbeinarbeiten, Glas, Fächer, Salbentöpfchen und Götterstatuen. Die überlegenen italischen Werkstätten erstellten sogar eigens Objekte nur für den Export, wie die nach ihrer ersten Fundstelle benannten „Hemmoorer Eimer“.

Statt Soldaten zu gefährden, gingen römische Statthalter dazu über, für ein friedliches Vorfeld der Reichsgrenze den einzelnen Germanenfürsten Geld und Waren zu geben. Das veränderte nicht nur die Sozialstruktur der Germanen, zudem verschoben sich so langsam die Kräfte, bis diese Zahlungen nicht mehr freiwilliges politisches Mittel blieben: Rom wurde seit Caracalla für den Grenzfrieden regelrecht den Germanen tributpflichtig.

Archäologie, die auch ihre Wirkungsgeschichte betrachtet, wühlt nicht nur in der Erde. Der Historiker wird heute auch hinter ganz anderen Grenzen fündig: In den Mosfilm-Archiven wurde ein Stummfilm über die Varusschlacht wiedergefunden. Er soll noch während der Laufzeit der Ausstellung aus Moskau kommen und gezeigt werden: Zwar kein Live-Dokument, aber von 1922, also auch schon ganz schön antik.

Hajo Schiff

Helms Museum, Hamburger Museum für Archäologie, Museumsplatz 2 (Harburg), tägl. außer Mo 10-17 Uhr, bis 3.März '96.

Videos in der Ausstellung: der preisgekrönte Film „Die Langobarden“ und „Kalkriese – Römer im Osnabrücker Land“. Katalog 39,80 Mark.

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