: Kälte zeigt Umweltsünden
■ Drei Eisbrecher auf der Weser im Einsatz / „Eisberge müssen verhindert werden“
Schon sieht Carl von Schröder, der oberste Sekretär des Eiswettbüros, „eine Sensation“ die Weser heraufziehen – dichtgedrängt schieben sich nämlich Eisschollen den Fluß hinab. „Es wäre doch ein Witz, wenn zum ersten Mal seit der Eiswette 1947 die Weser wieder zufriert“, findet Schröder. Ein Hindernis gäbe es da allerdings: „Wahrscheinlich kommt uns die Wasser- und Schiffahrtsdirektion zuvor und sprengt“.
Für die 270 Bremer Eiswett-Genossen hätte es zwar keine Folgen, ob die Weser gesprengt wird oder einfriert – der Festschmaus wird in jedem Fall gehalten. Die Traditionswette, ob die Weser „geht oder steht“, legt nämlich nur fest, welche Hälfte der Eiswetter die Rechnung zahlt. Fließt die Weser am 6. Januar, dem angestammten Eiswettentag allerdings, dann wäre das schon im 49. Jahr in Folge so – und außerdem tatsächlich im Sinne des Wasser- und Schifffahrtsamtes.
„Wir werden alles tun, um eine größere Eisfläche zu verhindern“, verspricht von dort nämlich Karsten Thode, der stellvertretende Bremer Leiter der Bundesbehörde. Eine Eissprengung werde man allerdings nur „als letzte Maßnahme erwägen“. Die Sprengung, die 1987 das alte Weserwehr vom Eisdruck befreien sollte, „war ja schließlich nicht von Erfolg gekrönt.“
Um eine durchgehende Eisfläche zu vermeiden und den Schiffsverkehr so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, sind nun Eisbrecher im Einsatz. Vorm Bremer Sielwall, wo die Weser besonders schmal ist, herrschte gestern morgen nämlich Alarm: Zum ersten Mal seit zehn Jahren war die Weser wieder dichtgefroren. Seitdem krachen drei multifunktionale Schlepper, die im Sommer auch mal Leuchttürme vor der Küste beliefern, durchs kleine Bremer Eismeer. Vor allem bei Hochwasser müssen sie ran – in der Hoffnung, daß losgeschlagene Eistrümmer vom ablaufenden Wasser weggeschwemmt werden.
Eisberge sollen unbedingt verhindert werden. Sie sind Gift für die Wasserstraßen – und das nicht nur, weil die Strömung unter ihnen hindurch, oder bei Schmelze auch über sie hinweg, gefährlich schnell fließt. Schwimmende Eisberge, einmal in Bewegung geraten, könnten vielmehr echte Geschoßwirkung entwickeln und die teure Uferbefestigung beschädigen, fürchten Fachleute. Schon jetzt warnen die Wasser- und Schifffahrtsämter in Bremen, Verden und Brake den Schiffsverkehr vor behinderungen durch Eis.
Auch Ökologen warnen. Auch sie kommen bei der gegenwärtigen Eiseskälte auf das Thema Uferbefestigung und Flußbegradigung zu sprechen. Der Bremer Gewässerökologe Michael Schirmer beispielsweise. „Es wäre ja nicht das erste Mal, daß nach einer langen, kalten Periode das große Fischsterben in den Flüssen einsetzt“, sagt der Uni-Wissenschaftler. Zwar sei die Weser dank ihrer Tiefe ökologisch noch nicht bedroht, aber die Begradigung des Flusses habe den Fischen die schützenden Nischen genommen, wo sie sonst überwintern. Nun müßten sie ständig in Bewegung bleiben um zu überleben. „Das schaffen unter den gegenwärtigen Bedingungen auch manche einheimische Arten nur schwer.“
Für eingeschleppte Mittelmeerexemplare ist dagegen schon lange Schluß: Die freigelassene Mini-Schildkröte des Aquarianers hat keine Chance aufs Überleben. Ebensowenig der fingernagelgroße Wasserfarn, der sich in sämtlichen Gewässern ausgebreitet hat. Doch deren Verschwinden ist in den Augen des Ökologe „keine Katastrophe“ – und für alles übrige Getier werde es erst nach weiteren Wochen anhaltender Kälte bedrohlich, schätzt er.
Vor allem die Tiere in flachen Bremer Gewässern seien dann gefährdet. Fische und Muscheln oder Schnecken in den verschlammten Wallanlagen beispielsweise. Dort beginnt dann nämlich unter der Eisdecke der Kampf um den knappen Sauerstoff. Zumeist siegen die Bakterien im Schlamm. An der Konsequenz, dem Fischsterben, gibt der Ökologe der Natur jedoch keine Schuld: „Bei Kälteperioden wird die Umweltzerstörung durch den Menschen nur deutlicher sichtbar“, faßt er die Situation zusammen. ede
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