"Was kommt bei den neuen Tarifen raus? Plus ein paar Mark für lange Telefonate. Minus ein paar Mark für kurze Telefonate. Null Änderung bei der Telefonrechnung." Dieses Märchen versucht die Telekom ihren KundInnen weiszumachen - doch nicht

„Was kommt bei den neuen Tarifen raus? Plus ein paar Mark für lange Telefonate. Minus ein paar Mark für kurze Telefonate. Null Änderung bei der Telefonrechnung.“

Dieses Märchen versucht die Telekom ihren KundInnen weiszumachen – doch nicht nur das Desaster am Neujahrstag, als Tausenden zu hohe Telefonkosten berechnet wurden, bringt die auf die Palme. Was kommt bei den neuen Tarifen raus? Plus eine Menge Ärger, Kosten und drahtlose Visiten. Minus eine Menge Vertrauen in die Telekom. Und ...

... null Bock auf Telefonitis

Man muß diesen Menschen dankbar sein, die sich tatsächlich – ausgerechnet am Neujahrstag – mit der Stoppuhr und dem Autoatlas bewaffnet zur nächsten Telefonzelle schleppten, um die neuen Tarife der Telekom akribisch zu testen. Denn wer hat schon einen Einheitenzähler am heimischen Telefon? Daß es die sparsamen Schwaben waren (Raum Stuttgart), die für uns den Selbstversuch wagten, verwundert nicht.

Der Schock saß danach tief. Denn das einzige übriggebliebene Markstück, mit dem sie der lieben Tante Elvira oder dem braven Onkel Horst in Oberammergau oder Flensburg, in Oberhausen oder auch Eberswalde ein herzliches „Prosit Neujahr!“ durch die Muschel zukommen lassen wollten, war schneller aufgebraucht, als im neuen Gebührenheft der Telekom angegeben.

Eiskalter Betrug am Verbraucher? Eine neue Form der „Wegelagerei“, wie der Kommentator im Radio (hr1) gestern morgen – noch vor Eintritt in die teuerste Zeitzone – vorschnell mutmaßte? Ein Schelm, der Böses dabei denkt. In Marburg schleppte ein wütender Metzgermeister sein Telefon mit eingebautem Gebührenzähler am Neujahrstag gar zur Polizei. Die sollte den Apparat als „Beweismittel“ für den seiner Auffassung nach „großflächigen Millionenbetrug“ der Telekom sicherstellen. Doch die genervten Beamten lehnten eine Anzeigenaufnahme brüsk ab, obgleich der mittelhessische „zarte Metzger“ noch ein anderes, dringend zu lösendes Problem zur Sprache brachte. Denn während er seine Fleischwurstwaage alle zwei Jahre von staatlichen Prüfern eichen lassen müsse, eiche die Telekom ihre Gebührenzähler selbst. Und das sei doch wohl ein Skandal erster Ordnung – oder etwa nicht?

Die neuen Tarife – „besser für alle“?

Nur ein „Softwarefehler“ sei's gewesen, beeilte sich ein Sprecher der Telekom schon am Dienstag zu erklären. „Einfach vergessen“ hätten die Programmierer der Firma SEL-Alcatel die Kennzeichnung des 1. Januar als Feiertag. Und deshalb seien Telefongespräche am Neujahrstag in diversen Regionen der Republik zu Werktagsgebühren abgerechnet worden.

Oberpeinlich für die viertgrößte Telekommunikationsgesellschaft der Welt, die gerade dabei ist – via penetranter Werbespots im TV –, der Bevölkerung die radikale Umstrukturierung der Tarife und Tarifzonen schmackhaft zu machen: „Die neue Gebührenordnung – besser für alle.“

Das ist nicht nur wegen der „Panne“ am Neujahrstag eine glatte Lüge. Billiger wird das Telefonieren nämlich tatsächlich nur zu Zeiten, in denen normalerweise kein Mensch Telefongespräche führt, sondern schläft. Und daß die Telekom ausgerechnet bei Ortsgesprächen ordentlicher hinlangt als in der Vergangenheit hat vor allem die Sozialverbände, die auf kommunaler Ebene tätig sind, elektrisiert. „Telefonieren wird zum Luxus“, klagte etwa ein Sprecher des Verbands der Kriegsversehrten. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) monierte gestern, daß die Telekom jetzt die Geschäftskunden „auf Kosten der Privatkunden“ begünstige. An Unternehmen und Behörden richtete die AgV deshalb die dringende Bitte, eingehende Telefongespräche schneller als bisher an den gewünschten Endteilnehmer zu vermitteln, um die Telefonkosten für den Anrufenden so gering wie möglich zu halten.

Ein leichtfertiger Umgang mit der Kundschaft

Denn tatsächlich wurde zwar der Preis für eine Gebühreneinheit für Orts- und Nahgespräche von 23 auf zwölf Pfennige gesenkt, dafür aber der Zeittakt radikal verkürzt. Schon vor der „Panne“ am 1. Januar war der Verband der Postbenutzer mit der Telekom hart ins Gericht gegangen. Das ganze neue Tarifsystem, so der Verbandsvorsitzende Wilhelm Hübner, sei nur auf die „Verwirrung“ der VerbraucherInnen angelegt.

Das Desaster vom Neujahrstag wertet Hübner lediglich als Bestätigung für seine kritische Haltung. Der interne Kontrollmechanismus bei der Telekom habe offensichtlich versagt und einen „leichtfertigen Umgang der Telekom mit 40 Millionen Telefonkunden“ offenbart.

Die Verbraucherzentrale in Hessen hat die Telekom inzwischen aufgefordert, allen Kunden eine korrekte Telefonrechnung zu erstellen, ohne Beschwerden einzelner Benutzer abzuwarten. Die Telekom müsse unentgeltlich Rechnungen erstellen, aus denen im Detail hervorgeht, welche Gebühreneinheiten zu welchen Preisen am 1. Januar abgerechnet wurden. Es könne nämlich nicht angehen, daß zunächst Falschabrechnungen verschickt und danach erst eventuell überhöhte Gebühren rückerstattet werden. Die einzige Reaktion der Telekom darauf lautet bislang, der Fehler solle nicht zu Lasten der Kunden gehen. Wie das allerdings vermieden werden soll, weiß bislang niemand.

Trotz aller „Verwirrung“ und möglicher „Beutelschneiderei“ (so der hr) bleibt einer gelassen: der Vorsitzende des Post- und Telekommunikationsausschusses im Deutschen Bundestag, Arne Börnsen (SPD) aus Ritterhude. „Ich gebe mir gar keine Mühe, das zu begreifen, weil ich keine Lust dazu habe. Ich habe auch nicht vor, mir eine Uhr neben das Telefon zu stellen. Die Zeiten sind meiner Ansicht nach vorbei.“ Für die meisten TelefonkundInnen fangen diese Zeiten wohl jetzt erst an. Klaus-Peter Klingelschmitt