: Fleißig verschleiernde Nabelschau
■ Wissenschaft ist, wenn man trotzdem schreibt oder Die Hauptstadtkultur auf dem Seziertisch: „BerlinKultur – Identität Ansichten Leitbild“ im FAB Verlag
Am Anfang war die Flut. „Kaum eine vergleichbare europäische Metropole“, schreiben Klaus Siebenhaar und Steffen Damm in ihrem neuen Buch „BerlinKultur – Identität Ansichten Leitbild“, hat sich „in Bild und Text so dauerhaft mit sich selbst beschäftigt“ wie Berlin. „Das jährlich erscheinende Kompendium einer großen Berliner Buchhandlung zur Berlin-Literatur“, konstatieren die beiden Autoren, „schwillt unaufhörlich an.“
Leider hat diese Erkenntnis Siebenhaar und Damm nicht davon abgehalten, den unzähligen Berlin- Büchern noch eines hinzuzufügen. Wissenschaft ist, so scheint es, wenn man trotzdem schreibt. Denn wissenschaftlich will es sein, das rund 200 Seiten starke Büchlein, das sich großspurig „Studie“ nennt. Auf dem Seziertisch von Professor Siebenhaar, Leiter des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der FU, und Damm, wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenda, liegt ein Dauerobjekt der hauptstädtischen Debattierklubs: die Berliner Kultur.
„In der Rückschau wird das Jahr 1995 als Drehpunkt der Nachwendezeit in die Geschichte der Stadt eingehen“, befinden Siebenhaar und Damm. „Eine Zäsur wird spürbar, die Zeichen stehen auf Aufbruch“, raunt es den LeserInnen auf den ersten Seiten von „BerlinKultur“ entgegen. Eine Aussage, an deren Überzeugungskraft die beiden Wissenschaftler offenbar so fest glauben, daß sich für sie jede weitere Erläuterung ihrer These erübrigt.
Nein, sonderlich viel Spaß bereitet die Lektüre von „BerlinKultur“ nicht. Über weite Strecken liest sich diese Publikation wie eine aufgeblähte, mit Fußnoten reichlich garnierte Proseminararbeit. Die Formulierungen sind umständlich und hölzern, die Argumentationen verklausuliert und widersprüchlich.
Zunächst werden die großen Worte abgehandelt: „Identität“, „Imago“, „Mythos“, „Urbanität“. Dann folgt ein Abriß der historischen Entwicklung des Berliner Kulturlebens: Gründer- und Kaiserzeit, die legendären zwanziger Jahre, die Teilung der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bei alledem entdeckt man kaum Neues. Es sind die alten Gewißheiten und Klischees: Realsozialistische Kapitale hie, künstlich am Leben gehaltenes Kulturotop da. Was Siebenhaar und Damm über die Berliner Kultur zu sagen haben, ist so schon hundertmal gedruckt worden. Die Zeit der Naziherrschaft wird übrigens wohlweislich ausgespart, anscheinend sollte das Ganze nicht allzu kompliziert werden.
Daß Schlichtheit des Gedankenganges und Fleißarbeit zwei Dinge sind, die zuweilen durchaus korrespondieren, wird insbesondere in dem Kapitel deutlich, in dem es um die Gegenwart geht. Für die Bestandsaufnahme der aktuellen Situation („1989 – soviel Anfang war nie“) haben sich die Autoren die Berichterstattung in verschiedenen Tageszeitungen der letzten zwei, drei Jahre angesehen, wobei sie speziell die Serien „Hauptstadtprüfung“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und „Geistiger Standort“ des Tagesspiegels ausgiebig zitieren. Angereichert durch die in Abhandlungen wie „BerlinKultur“ inzwischen übliche Promi-Umfrage, ergibt sich ein Bild der Berliner Kulturszene, das niemanden mehr überrascht. Ja, ja: Die Stadt ist ein vielfältiger Organismus.
Damit das so bleibt, müssen „neue Wege“ beschritten werden. Die Essenz der vorliegenden Abhandlung findet sich etwas versteckt auf Seite 62: „Kulturpolitik im Neuen Berlin“, fordern Siebenhaar und Damm, „bedarf vernetzter Strategien und Interessenvertretungen, die auf Dauer nur als Public-Private-Partnership kunst- und kulturdienlich praktizierbar ist.“ Wie sich die Zusammenarbeit mit privaten Sponsoren im einzelnen gestaltet, wird nicht näher ausgeführt.
Immerhin spricht Siebenhaar an dieser Stelle nicht mehr nur als Wissenschaftler, sondern als direkt Betroffener, ist er doch unter anderem auch Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Theaters. Fazit: Die Nabelschau auf die „Metropole Berlin“ verschleiert mehr, als daß sie Zusammenhänge erhellt. Wie meinte der Verfasser eines FAZ-Beitrages: „Kein Londoner, New Yorker oder Pariser käme jemals auf den Gedanken, Schönheit und Bedeutung seiner Stadt zu erläutern.“ So betrachtet ist „BerlinKultur“ ein geschwätziges und zutiefst provinzielles Buch. Ulrich Clewing
Klaus Siebenhaar, Steffen Damm: „BerlinKultur – Identität Ansichten Leitbild“. FAB Verlag 1995, 205 Seiten, 28 DM
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