piwik no script img

Kein Klein-Chicago im Norden, aber...

■ Kriminell-literarisches Reizklima zwischen den Halligen und Helgoland

Auf den Nordseeinseln tummeln sich Jahr für Jahr Tausende UrlauberInnen. Aber nicht alle haben Sonne, Meeresrauschen und Erholung im Sinn – so mancher treibt auch sein kriminelles Unwesen. Weniger wohl im Touristenalltag als vielmehr in alten und neuen Kriminalgeschichten, die zwischen Borkum, Helgoland und Sylt spielen. Die deutsche Nordseeküste hat durchaus kriminelle Tradition.

Der berühmteste Gesetzlose der Küste ist der legendäre Pirat Klaus Störtebeker, der Ende des 14. Jahrhunderts mit seinen „Vitalienbrüdern“ Schiffe der Hanse kaperte. Die Piraterie ist längst kein Thema mehr. Nur hegt heutzutage mancher Urlauber den Verdacht, daß moderne „Piraten“ Unterschlupf im Gastgewerbe der Tourismuszentren gefunden haben könnten.

Haben sich urlaubende „Leseratten“ erst einmal gemütlich eingenistet, entdecken sie bald, daß sie ihre schönsten Wochen des Jahres auf gefährlichem Territorium verleben. Denn so mancher Kriminalroman spielt dort, wo er gerade gelesen wird: auf einer der vielen Inseln und Halligen.

Mehrere klassische Nordseekrimis stammen aus der Feder von Altmeister Hansjörg Martin (75) aus Wedel. Darin macht sich der Autor die besonderen Gegebenheiten der Inseln spannungsfördernd zunutze. So ist in „Einer fehlt beim Kurkonzert“ ein Kommissar gezwungen, seinen Urlaub vorübergehend zu vergessen und schnell mal einen Mord aufzuklären. Denn die eigentlich zuständigen Kollegen vom Festland können mit der Fähre erst bei neuer Flut zwölf Stunden später vor Ort sein. Auch Martins Roman „Bei Westwind hört man keinen Schuß“ lebt von der besonderen Situation auf einer Hallig. Dort halten sich nur sechs Menschen auf – und einer muß der Mörder sein.

Zu diesen traditionellen Krimis ist nun ein neuer hinzugekommen, der Spannung mit einem erheblichen Maß an Humor verbindet. Achim Szymanskis Roman „Helgoland oder Tausend Jahre ohne Hose“ (Goldmann Verlag, München) beginnt wie ein klassischer Thriller mit einem Privatdetektiv, der auf die einzige deutsche Hochseeinsel gerufen wird, um bei der Aufklärung eines Polizistenmordes zu helfen. Der Fall wird immer verwickelter, und der Held Max Golding gerät in eine hochbrisante Affäre mit internationalen geheimdienstlichen Verwicklungen. Bei Szymanski erfahren die LeserInnen auch Historisches über den Piratenhäuptling: „Klaus Störtebeker kannte viel, nur eines nicht: Den Bammel. Er war auf Helgoland gebor'n und aß am liebsten Hammel.“ Wie sehr sich aber inzwischen die Gebräuche auf der Insel geändert haben, belegt der Vers: „How do you do? Merci, Merci! So riefen unsere Kleinen und spielten fröhlich ,Fang die Mark' zwischen Touristenbeinen“. In diesem Stil geht es über 133 Verse, die den Kriminalfall mitunter fast nebensächlich erscheinen lassen. Szymanski läßt den Bürgermeister vehement den bis dahin guten Ruf der Insel verteidigen: „Wir sind zwar etwas selbstgerecht, doch einen Mörder würden wir nie unter unseren Dächern dulden.“

Dennoch sind die beliebten Ferieninseln nicht Klein-Chicago. Literarisch aber sind sie auch künftig sicher eine spannende Reise wert.

Axel Knönagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen