: „Das Urteil steht schon fest“
■ Nach zwei Jahren Fahnenflucht und sieben Wochen Knast: Totalverweigerer wird am Montag in Itzehoe der Prozeß gemacht
Nick Netzler ist ein „vorbildlicher“ Totalverweigerer. Konsequent verweigerte der 24jährige Hamburger Erfassung, Musterung, Eignungsprüfung und drei Einberufungen. Die Folge: Haftbefehl und Festnahme. Zur Zeit wartet Netzler in der JVA Neumünster auf seinen Prozeß vor dem Amtsgericht Itzehoe.
Nach 25 Monaten „Fahnenflucht“ wurde der renitente Kriegsdienstgegner im November '95 kurz nach Mitternacht von der Streifenpolizei in Itzehoe einkassiert. Die hatte Netzlers Personalien bei einer Routinekontrolle gecheckt – wg. Radfahren ohne Licht. Bei der Verhaftung leistete der Delinquent passiven Widerstand. Netzler: „Die Polizisten haben mich auf den Boden geschleudert, einer hat sich auf mich raufgesetzt. Dann wurde ich rabiat ins Auto gezerrt.“ Im Polizeiprotokoll liest sich das so: „Er weigerte sich, in das Fahrzeug einzusteigen. Anschließend versuchte er, die Tür zu öffnen. Es war nur durch einen gezielten Schlag auf die Handgelenke möglich, seine Hände von dem Türgriff zu lösen.“ Neben der Anklage wegen Fahnenflucht handelte sich Netzler auch noch eine Strafanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ein.
Eine Merkwürdigkeit bleibt. Der Haftbefehl gegen Netzler wurde ohne vorherige Prozeßladung ausgestellt. „Das ist ein Skandal. Normalerweise geht der Haftbefehl erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder bei Fernbleiben vom Prozeß raus. Statt dessen bedeutet das für Nick sieben Wochen Knast plus Vorverurteilung“, sagt Heiko Streck von den „Desertören“.
1990 schloß sich Nick Netzler mit vier jungen Männern zum „Zweiten Hamburger Totalverweigerer-Kollektiv“ zusammen: „Ich bin nicht angetreten, weil die Interessen dieses Staates nicht meine sind.“ Einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer hat Netzler gar nicht erst gestellt. Er lehnt auch den Zivildienst als „Zwangsdienst“ ab, der Bestandteil der Gesamtverteidigungskonzep-tion sei. Die hierzulande herrschende Militär-Doktrin verdeutliche, so Netzler, ein Ausspruch seines formalen Vorgesetzten Klaus Naumann, seines Zeichens Generalinspekteur der Bundeswehr. Der habe jüngst gesagt, es gebe zwei Währungen in der Welt. Die erste sei die militärische, die zweite seien die militärischen Mittel, um die erste durchzusetzen.
Netzler wird auch vor Gericht als „Einzelkämpfer“ auftreten. Auf einen Anwalt verzichtet er: „Ich spiele nicht nach ihren Regeln. Sie haben ihre Gesetze, ich habe meine Gründe. Das Urteil steht ohnehin schon vorher fest.“ Offiziell verkündet wird es am Montag nächster Woche. Volker Stahl
Prozeß: 15. Januar, 13.45 Uhr, Amtsgericht Itzehoe, Bergstraße 5-7 (Neubau, Saal 3). Kontakt zur Soligruppe: Tel. 439 96 51
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen