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Foto-Autopsie

■ „Fish Story“: Allan Sekulas künstlerische Feldforschung im Bereich der internationale Handelsschiffahrt

Es ist der Blick von der Brücke, der die aufgeräumte Übersichtlichkeit des „Panorama, Mid- Atlantic“ schafft. Mit diesem Foto eröffnet Allan Sekulas „Fish Story“. Allein der Bug eines Containerschiffs schiebt sich wie ein Keil in den leeren, weitgespannten Horizont: Melancholie eines Kalenderblattfotos, das an die Bürowand jeder beliebigen Transportfirma paßte.

Die Container könnten eine der modernen, computerisierten und automatisierten Fabrikanlagen enthalten, die ruhelos von A nach B nach C und weiter verschoben werden – auf der Suche nach billiger Arbeitskraft oder einem Produktionsstandort in Verbrauchernähe. Sie sind zu mobilen Einheiten mutiert. Nomadisch. Unwillkürlich denkt man daran, daß die englische Arbeiterpartei sich nun „New Labour“ nennt. New Labour könnte auch Allan Sekulas ambitioniertes Fotoprojekt heißen, wäre Ironie oder gar Zynismus seine Sache.

Sekulas künstlerische Feldforschung im Bereich der internationalen Handelsschiffahrt, eine Beobachtung über einen langen Zeitraum, ist jetzt in einem ebenso spannend zu lesenden wie lohnend zu betrachtenden Ausstellungskatalog dokumentiert.

Seine komplexe Montage aus Bildern und Texten ganz verschiedener Art verdankt der Band der Fortschreibung der „Fish Story“ von Ausstellung zu Ausstellung, wiederum in Hafenstädten und Handelszentren wie Los Angeles, Rotterdam, Stockholm oder Glasgow.

„In einem Hafen aufzuwachsen...“ beginnt der erste Text und erklärt das Interesse Sekulas, der seine Kindheit in der Hafenstadt San Pedro/Los Angeles verbrachte, am Motiv seines Projekts, dessen Fragestellung er in vier weiteren, kurzen Absätzen anreißt.

Solch knappe literarische Notierungen lassen sich im Ausstellungsraum als Schrifttafeln zwischen den Fotofolgen an die Wand montieren. Das Fotobuch, der Katalog aber gibt Raum für den großen Essay: „Dismal Science“ I und II. „Traurige Wissenschaft“ hatte Thomas Carlyle 1840 die Politische Ökonomie genannt, gegen die „Fröhliche Wissenschaft“ der Poesie.

Sekula allerdings zeigt, daß auch die Weltökonomie ihre ästhetische Seite hat, die sich reflexiv zu den harten Fakten lesen läßt; etwa wenn William Turner den stürmischen Wind über dem Meer just zu dem Zeitpunkt entdeckt, an dem er für die (dampfbetriebene) Schiffahrt als Produktionsmittel keine Rolle mehr spielt.

Mit der technischen Revolution geht die ästhetische Nostalgie einher: Diese Asynchronizität von Wahrnehmung und analytischem Befund ist vielleicht überhaupt das Thema der „Fish Story“, die deshalb notwendigerweise Bild und Text vereint.

Daß Sekula, der das Fotografieprogramm des California Institute of the Arts, CalArts, in Los Angeles betreut, der Autor weithin bekannter Essays zur Geschichte und Theorie der Dokumentarfotografie ist, macht die spürbar solide Grundlage dieser Verknüpfung aus.

In „Fish Story“ geht Sekula der Asynchronizität am Motiv der Arbeit nach, die sonst kein Thema einer ästhetisch-politischen Auseinandersetzung mehr ist. Sozialpolitik ist die einzige Antwort auf das Phänomen, daß die Arbeit vor unseren Augen verschwindet, um hinter unserem Rücken, an den geopolitischen Rändern der industrialisierten Welt getan zu werden. Wobei man übrigens gern übersieht, daß sie auch dort weiter rationalisiert wird. In Sekulas Auseinandersetzung mit dem verschwundenen, auch durch den Sozialistischen Realismus diskreditierten Motiv, findet die Fotografie ihre intensive Bindung an die alltägliche Wirklichkeit, an die Geschichte, an die naturale, soziale und ökonomische Realität wieder, die sie verlor, als sie zum Projekt Fotografie geadelt in den westlichen Kunstraum Einzug hielt. Ein Beispiel ist die sehr enggeführte, sich selbst ausschließlich medienimmanent wieder und wieder spiegelnde Praxis konzeptueller Fotografie.

Gegenläufig zu ihr knüpft Sekula an Praktiken des Fotojournalismus, der Dokumentarfotografie und der Erzählung an. Wie sehr sich Allan Sekula damit zwischen alle Stühle des durch sämtliche Autoritäten des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion gestützten, diskursiven Einverständnisses setzt, das da lautet, es gibt nichts zu sehen als das Sehen (und seine Reinfälle, seine generelle Hinfälligkeit und prinzipielle Untauglichkeit) analysiert Benjamin H. D. Buchloh in einem lesenswerten Nachwort. Sekula hält dagegen in der Form einer ausgesprochen geistesgegenwärtigen journalistisch-literarischen Fotoreportage der Autopsie die Treue.

Allan Sekula: „Fish Story“, Richter Verlag Düsseldorf. Die englische Ausgabe kostet 63 DM.

Die deutsche Ausgabe erscheint im Frühjahr 1996 und wird 98 DM kosten

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