: Ein Kind als einziger Augenzeuge
43jähriger türkischer Bäcker wegen Totschlags vor Gericht. Er soll seine Lebensgefährtin aus Eifersucht erstochen haben ■ Von Plutonia Plarre
Ständig wechselnde Männerbekanntschaften, Gruppensex, Alkoholexzesse. Dem 43jährigen Angeklagten Refek S. ist offenbar jedes Klischee recht, um seiner ehemaligen Lebensgefährtin einen unmoralischen Lebenswandel zu unterstellen.
Der gebürtige Türke steht seit gestern wegen Totschlags vor Gericht, weil er die 50jährige Marianne K. im vergangenen Juli erstochen haben soll. Die Mutter von sieben Kindern starb im Hausflur eines Mietshauses in Pankow vor den Augen ihres jüngsten, acht Jahre alten Sohnes.
Der Angeklagte Refek S. ist von Beruf Bäcker und lebt schon seit langer Zeit in der Bundesrepublik. Als er Marianne K. kennenlernte, hatte er schon eine zehnjährige Ehe mit einer deutschen Frau hinter sich. Die Hausfrau Marianne K. wiederum hat sieben Kinder, von denen jedes seinen eigenen Erzeuger hat. Aber daß sie Refek S. in der fünfjährigen Beziehung ständig mit anderen Männern betrog, wie der Angeklagte gestern vor Gericht glauben machen wollte, bezweifelt der Staatsanwalt ganz erheblich.
Kurz vor ihrem Tod war Marianne K. von einem Urlaub aus Antalya in der Türkei zurückgekehrt. Er habe seine Freundin vom Flughafen abgeholt und sich sehr über ihre Rückkehr gefreut, erzählte Refek S. gestern mit Hilfe eines Dolmetschers.
Dann habe ihm Marianne K. jedoch eröffnet, sie habe den Türken Mustafa kennengelernt, der sie täglich massiere und küsse. Ob sie den Mann in der Türkei kennengelernt habe, könne er nicht sagen, so Refek S. Er wisse nur, daß Mustafa in Berlin zwei Restaurants habe, einen dicken Mercedes fahre und Heroingeschäfte mache.
Was immer der Grund dafür gewesen sein mag: auf jeden Fall hatte Marianne K. Refek S. an jenem Tag ihrer Wohnung verwiesen. Seine Sachen hatte sie schon gepackt. Die Auseinandersetzung zwischen beiden endete damit, daß die Polizei kam und Refek S. vor die Tür setzte.
Was sich danach ereignete, darüber gibt es zwei Darstellungen. Der Angeklagte behauptete gestern, er sei nach einer durchzechten Nacht am nächsten Morgen gegen 7.30 Uhr nur deshalb zu dem Plattenbau zurückgekehrt, um seine Wäsche zu holen.
Marianne K. habe ihm mit dem Summer die Haustür geöffnet, sei mit einem Messer die Treppe heruntergekommen und habe ihn als betrunkenen Penner beschimpft. „Was dann passierte, weiß ich nicht mehr“, so der Angeklagte.
Der einzige Tatzeuge ist ausgerechnet der achtjährige Sohn Richard von Marianne K. Nach Angaben des Staatsanwalts hatte die Mutter das Kind an diesem Morgen zum Brötchenholen geschickt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Haustür unverriegelt gewesen. Als der Junge zurückkam, war die Tür jedoch abgeschlossen. Folglich konnte Marianne K. dem Kind nicht mit dem Summer die Tür öffnen, sondern mußte selbst hinuntergehen, um ihm aufzuschließen. In dem Moment sei Refek S. aus dem Keller gekommen und habe vor den Augen des Kindes auf die Frau eingestochen.
Der Staatsanwalt geht davon aus, daß Refek S. die Tür abgeschlossen hat, bevor er sich im Keller versteckte. Wenn sich dies im Prozeß bestätigen sollte, hält der Staatsanwalt auch eine Verurteilung wegen Mordes für denkbar. Die Frage sei nur, ob dies auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) Bestand habe.
Denn der BGH habe bislang immer vertreten, daß in Deutschland lebenden Türken wegen der verletzten Ehrgefühle bei Eifersuchtstaten kein Mord, sondern nur Totschlag anzulasten sei. Der Prozeß wird morgen mit der Vernehmung des Kindes fortgesetzt.
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