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„Wir sehen, daß sie sich bemühen“

In Bosnien gewinnen die US-Militärs langsam die Sympathien der Bevölkerung. Aber statt auf der Pontonbrücke über die Save zu fahren, müssen Zivilisten nach wie vor mit der Fähre übersetzen  ■ Aus Orašje Erich Rathfelder

Mit ihrem Jeep durch das Wasser zu schwimmen macht den US- Soldaten sichtlich Spaß. Der auf einen Kilometer Breite angeschwollene Save-Fluß ist kein Hindernis für sie. Das Amphibienfahrzeug bewältigt auch die Wirbel, die das Hochwasser an manchen Stellen bildet. An der Anlegestelle der Fähre angekommen, die das kroatische und das bosnische Ufer hier bei Županja in Ostslawonien miteinander verbindet, reißen die beiden Insassen des Jeeps vor Freude die Arme hoch. Und auch die wartenden Fahrgäste, die von Kroatien aus den Fluß nach Bosnien hin zur Stadt Orašje überqueren wollen, lächeln. Die Amis haben mit ihrem unkomplizierten Verhalten schon jetzt Sympathien bei der hiesigen Bevölkerung gewonnen.

„Wir sehen ja, daß sie sich bemühen“, sagt Ante Perisić, der vor dem Krieg als Vertreter für Weine aus Slawonien in Westeuropa unterwegs war. Und er deutet in Richtung auf die Lastwagen und die Gerätschaften, die wenige hundert Meter flußabwärts von der US-Armee an das Ufer transportiert wurden. Hier soll eine zweite Pontonbrücke entstehen. Die erste, die etwa zwei Kilometer flußabwärts liegt, ist schon in Betrieb. Über 2.000 Mann US-Truppen haben sie von Ungarn und Kroatien aus bislang überquert. Sie beziehen nun Stellung im Niemandsland zwischen den kroatisch-bosnischen Stellungen um Orašje und den serbisch besetzten Gebieten im Posavina-Korridor. Von dort aus sollen sie die Straße in die Stadt Tuzla sichern, wo das Hauptkontingent der Amerikaner stationiert sein wird.

Die Fähre ist endlich angekommen. Autofahrer und Fußgänger warten frierend in der eisigen Kälte des Januartages, bis das Anlegemanöver gelungen ist. Seit die große Betonbrücke im Mai 1992 von serbischen Truppen zerstört wurde, war diese Fähre die einzige Verbindung zwischen Orašje und „Kroatien und dem Rest der Welt“, wie Ante Perisić lachend erzählt. Doch er wird ernst, als er sich erinnert, wie gefährlich noch vor wenigen Monaten die Überfahrt hier war. „Noch im August flogen hier die Granaten, die serbische Armee wollte unbedingt Orašje erobern.“ Ante, der in der nahegelegenen kroatischen Stadt Županja wohnt, nahm das Risiko in Kauf, mit der Fähre über die Save zu setzen. „Ich mußte doch meine Verwandten hier in Orašje unterstützen.“ Seit dem Abkommen von Dayton wurde nicht mehr geschossen.

Von der Flußmitte her betrachtet bilden die geduckten Häuser am Ufer eine eindrucksvolle Silhouette. Rund 40.000 Menschen, vor allem Kroaten, aber auch Muslime, leben in einem Streifen von 30 Kilometern, der sich an den Ufern der Save in nördlicher und südlicher Richtung ausbreitet. An manchen Stellen nur drei Kilometer breit, bot das flache Gelände in dieser Zeit nur wenig Schutz vor den serbischen Granaten.

Auf den ersten Blick sind dennoch nur wenige Zerstörungen zu sehen. Wo immer möglich, haben die Menschen ihre Häuser schon wieder repariert und frisch gestrichen. Auf einer Wand ist noch eine verblichene Inschrift zu lesen: „Vahid“, steht da, „geboren am 11.11.1958, starb hier am 4. August 1992 als Held, der diese Region verteidigt hat.“ Der Muslim Vahid dürfte auch den Kroaten Orašjes in guter Erinnerung bleiben. Denn hier haben – im Gegensatz zu Mostar – Kroaten und Muslime bislang friedlich miteinander gelebt.

Das Gebiet um Orašje gehörte wie Bihać, Sarajevo und die ostbosnischen Enklaven Srebrenica, Goražde und Žepa zu den heiß umkämpften Zonen in diesem Krieg. Schon im Mai 1992 war es den serbischen Freischärlern und der damaligen jugoslawischen Volksarmee gelungen, den größten Teil der Sava-Ebene auf der bosnischen Seite zu erobern. Von Brčko aus schufen die Serben einen Korridor in die nordwestlich gelegene, von ihnen kontrollierte Stadt Banja Luka. „Der größte Teil der Bevölkerung dieses Gebiets waren bosnische Kroaten, die damals vertrieben wurden“, erklärt Mirko Zivković, ein ehemaliger Russischlehrer, der jetzt als Informationsoffizier der kroatisch- bosnischen Truppen HVO tätig ist.

Über 150.000 Menschen mußten allein in der Posavina-Ebene ihre Heimat verlassen. Lediglich Orašje hat sich damals behaupten können.

„Wir können mit dem Dayton- Abkommen nicht zufrieden sein.“ Der 49jährige, eigentlich bedächtig wirkende Mann, ist erbost. In seinem Büro im Hauptquartier der HVO sitzt er vor einem Bild des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman in Uniform. „Nach dem Abkommen werden wir nicht einmal 34 Prozent von Posavina kontrollieren.“ Das Gebiet um Orašje sei aber entgegen den Forderungen Milosevićs nicht verkleinert worden. 210 Quadratkilometer um die nördlich von Orašje gelegene Stadt Odzak würden sogar an die bosnisch-kroatische Föderation fallen, so daß 30.000 Menschen wieder in ihre angestammte Heimat zurückkehren könnten. Doch auch dieses Gebiet werde eine Enklave sein, werde wie Orašje keine direkte Verbindung nach Sarajevo oder Mostar haben.

„Die Großmächte“, so Mirko Zivković, „haben die serbischen Besatzer mit dem Abkommen gerettet. Nach der Offensive in Kroatien im August 1995 und der Befreiung Bihaćs waren die bosnischen Truppen und wir selbst dazu bereit und in der Lage, das gesamte Gebiet um Banja Luka und den Posavina-Korridor zurückzuerobern.“ Mirko Zivković dreht nervös an einem Bleistift. „Trotzdem werden wir den Vertrag erfüllen und die US-amerikanischen, die russischen und anderen internationalen Truppen bei der Umsetzung des Vertrages unterstützen. Hier wird es keine Zwischenfälle geben.“ Der Schnee knirscht unter den Stiefeln. Abendliche Eiseskälte senkt sich über den Ort. Die Straßen in das Umland sind vereist. Die Dächer der Bauernhöfe tragen weiße Schneekappen, die ihnen ein friedliches Aussehen verleihen. Auch in Mićići, einem kleinen Dorf am Rande der Demarkationslinie. Doch der Schein trügt. Die Frontlinie zerschneidet die Felder, die zum Dorf gehören. „Hier“, so bedeutet eine Bäuerin, „hat jede Familie Opfer zu beklagen.“

Die 34jährige Frau trägt Schwarz. Die Familie Dominković trauert. Am 7. August 1995 ist ihr Sohn von einer Granate getötet worden. Die Bäuerin zeigt aus dem Fenster auf ein Nachbarhaus, wo das Unglück geschehen ist. „Mein Damir war noch nicht einmal 18 Jahre alt.“ Der Junge, der Priester werden wollte, hatte sich am Tage der Beerdigung einer Verwandten bei den Nachbarn mit vier anderen Priesterschülern und drei weiteren Freunden getroffen. Alle acht Jungen sind gleichzeitig getötet worden. Sie waren nur für einige Tage zu Besuch bei ihren Eltern. Tränen steigen in die Augen der Mutter. Nachbarn und Eltern der anderen Opfer treten in den Raum. Still gedenken sie ihrer Kinder. „Trauer, nicht Haß“, empfinde sie. Nur die Religion könne ihr über den Verlust ihres Enkels hinweghelfen, sagt Großmutter Dominković.

Im Frühjahr 1992 wurden die Frauen und Kinder evakuiert, die Männer blieben im Krieg. Die Familie lebte in deutschen und kroatischen Flüchtlingslagern, ehe sie sich nach einem Jahr entschloß, zurückzukehren und ihrem Mann zu helfen. Die 34jährige wiegt den Kopf. „Jeder Frieden ist besser als Krieg.“ Aber unter serbischer Herrschaft in dem serbisch besetzten Gebiet zu leben, sei für die Vertriebenen nicht möglich. Niemand könne die Sicherheit der Menschen garantieren. „Wir wissen nicht einmal, ob wir unsere Felder auf der anderen Seite der Front wieder bearbeiten können“, sagt sie.

Die Unzufriedenheit mit dem Dayton-Abkommen ist spürbar und verbreitet. Selbst der Präsident der kroatisch-bosnischen Föderation, Kresimir Zubak, der aus der Region stammt, war wegen der Differenzen über die kroatische Verhandlungsführung Tudjmans schon in Dayton resigniert zurückgetreten.

Im Kreis der Trauernden klingt die Kritik zuerst nur verhalten an. Der Nachbar Pavo Marković, ein örtlicher Kommandant der HVO, zitiert Kardinal Puljić aus Sarajevo. „Das sind keine guten Menschen, die Menschen wie Bauern auf einem Schachbrett opfern.“ Die Regierung in Sarajevo habe sich wohl am meisten für die Menschen in der Posavina-Region eingesetzt, sagt ein anderer und wird ein wenig deutlicher. „Das Abkommen gibt uns nichts. Wir sind bosnische Kroaten und nicht Kroaten aus Kroatien, doch wir bleiben von unserer Hauptstadt Sarajevo abgeschnitten wie während des Krieges.“

Auch nachts herrscht noch reger Betrieb auf der Fähre, die Schlange der wartenden Autos ist lang. Nach zwei Stunden des Wartens geht es endlich über den Fluß. Auf dem kroatischen Ufer sind weiterhin amerikanische Pioniere am Werk. Anders als die UNO- Truppen, die sich bei Dunkelheit in ihre Kasernen zurückzogen, sind die US-Truppen auch nachts aktiv. Unter Scheinwerferlicht wird an der neuen Pontonbrücke gearbeitet. Bald sollen die Brücken auch für Zivilisten geöffnet werden. Das Friedensabkommen von Dayton garantiert schließlich allen Bürgern Bosnien-Herzegowinas volle Bewegungsfreiheit.

„Alles braucht seine Zeit“, sagt ein US-amerikanischer Offizier, der lange Zeit in Deutschland stationiert war. „Im Abkommen ist ja auch noch die Rückkehr der Flüchtlinge garantiert. Aber wir werden das Abkommen durchsetzen.“

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