: Verblaßter Radikalismus
■ Nach Mitterrand ist die Linke schwächer als je zuvor
Als François Mitterrand im Mai 1981 in den Elysée-Palast einzog, feierten Hunderttausende auf dem Pariser Place de la Bastille den Beginn einer neuen Ära. „Das Leben ändern“, hatte der Wahlslogan des Sozialisten gelautet, und Mitterrand hatte das Ende der „Ausbeutung der Menschen durch die Menschen“ versprochen. Die kommunistische Partei hatte ihn ebenso unterstützt wie ein großer Teil der einstigen Barrikadenkämpfer des legendären Mai 1968.
François Mitterrand, der seinen Weg an die Spitze Frankreichs jahrzehntelang vorbereitet hatte, begann mit Elan: Er schuf die Todesstrafe ab, hob den Mindestlohn an, führte die 39-Stunden- Woche und den fünfwöchigen Jahresurlaub ein und begann mit der Verstaatlichung der Schlüsselindustrie.
Doch schon nach zwei Jahren, mit dem Scheitern der sozialistischen Wirtschaftspolitik und dem Beginn eines rigorosen Sparkurses, zogen sich die kommunistischen Minister enttäuscht aus der Regierung zurück. Die angekündigte Reform des gaullistischen Präsidialsystems, das Mitterrand zuvor als „permanenten Staatsstreich“ kritisiert hatte, fand nie statt. Auch außenpolitisch verblaßte der Radikalismus des Sozialisten bald: 1983 unterstützte er die europäische Aufrüstung mit Cruise-Missiles, und 1985 versenkten seine Geheimagenten das Greenpeace- Schiff Rainbow-Warrior im Hafen von Auckland.
Die europäische Einigung, die deutsch-französische Freundschaft, die technologische Modernisierung Frankreichs traten in den Mittelpunkt der Mitterrandschen Aktivitäten. Die sozialistische Partei versank immer tiefer im Sumpf von Affären. Und die rechtsextreme Front National konnte dank der Einführung des Verhältniswahlrechts erstmals in die Nationalversammlung einziehen.
Am Ende seiner insgesamt vierzehnjährigen Amtszeit hatte der erste sozialistische Präsident Frankreichs die veralteten Institutionen und die elitäre Politikerbildung nicht angetastet. Als er im vergangenen Mai abtrat, war die Glaubwürdigkeit der französischen Linken schwächer als je zuvor. Die kommunistische Partei war zur Splitterpartei geworden, die von Mitterrand gegründete Sozialistische Partei ins Abseits geraten, und die Gewerkschaften beklagten den schwersten Mitgliederschwund ihrer Geschichte. Der Wahl des neogaullistischen Präsidenten Jacques Chirac als Nachfolger stand nichts mehr im Weg. Dorothea Hahn, Paris
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