: Unterm Strich
Wenn ein neuer Leichtathletik-Weltrekord aufgestellt wird oder wenn's WeltmeisterInnen gibt, liefern die Agenturen unvermeidlicherweise lange Listen mit VorgängerInnen aus den mindestens letzten 100 Jahren. Und weil Harald Juhnke ganz sicher ein Weltklassesäufer ist, läßt sich dpa nicht lumpen und würdigt ihn mit „Stationen eines Leidensweges“. Erkoren zu unserem heutigen Kurzroman, besser als jede Fallada-Verfilmung und vor allem authentischer:
April 1993: Juhnke tritt betrunken bei einer Podiumsdiskussion über Politikverdrossenheit auf und sagt Theaterauftritte ab. Der seit längerer Zeit „trockene“ Entertainer war an der Hotelbar „versackt“.
Mai 1993: Juhnke läßt seine Auftritte bei den Mülheimer Theatertagen und im Berliner Schiller Theater platzen. Begründung: Er habe sich mit den Terminen geirrt.
Juni 1994: Juhnke wird 65 Jahre alt. Zum Thema Alkohol sagt er: „Ich bin sehr glücklich. Meine Karriere ist so weit oben wie noch nie. Es wäre doof, sie zu gefährden und in meinen alten Schlendrian zu verfallen.“
Dezember 1994: In einem Berliner Hotel mietet sich der 65jährige mit einer 18jährigen Schülerin ein und posiert sichtbar betrunken vor Fotografen. Die Weihnachtstage verbringt er im Krankenhaus.
August 1995: Nach Dreharbeiten zu „Der Trinker“ verliert Juhnke bei einer Prügelei mit einem Taxifahrer einen Zahn. Er erleidet einen Kreislaufzusammenbruch und muß drei Wochen im Krankenhaus verbringen. Später gesteht Juhnke, einen lebensbedrohlichen Herzstillstand erlitten zu haben. Ein Arzt sagt ihm, daß der nächste Schluck sein letzter sein könnte.
Oktober 1995: Juhnke steht im Berliner Friedrichstadtpalast wieder beifallumrauscht auf der Bühne, sagt augenzwinkernd: „Mich haut kein Rum wirklich um.“
6. Januar 1996: Frühmorgens verläßt Juhnke seine Villa im Berliner Grunewald und trinkt sich durch Berlin. Er schlägt eine Reporterin. Der Star muß wegen seiner Sucht wieder ärztlich behandelt werden.
Inzwischen läßt das Berliner Maxim Gorki Theater allerdings verlauten, daß sich Juhnke schon längst nicht mehr oder gar nicht in einer Klinik aufhalten, schon morgen wieder mit Proben beginnen soll und die Premiere von Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ (Regie: Katharina Thalbach) am 27. Januar nicht gefährdet sei.
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