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Schon klebt man aneinander

In Grace Ellen Barkeys neuestem Tanztheaterstück „Tres“ endet die Suche nach der reinen, unschuldigen Liebe doch bloß in flachem Gerammel  ■ Von Kai Voigtländer

Noch im Halbdunkel geht es los, das Gerammel. Zwei Männer im Schatten, alter Lüstling und knabenhafter Jüngling. Ein Griff von hinten, ein kurzes Handgemenge, stumme Explosion der Triebe. Vergewaltigungsversuch oder die schnelle Nummer im Park? Sekunden nur dauert die Szene, der Jüngling reißt sich los, verschwindet im Dunkel. Müde schleppt sich der alte Mann zu seinem Barhocker. Mit brüchiger Stimme haucht er, langsam Wort für Wort hervorwürgend: „I've ... got ... you ... under ... my ... skin“ ins Mikrofon, ein schmieriger Conferencier in kanariengelbem Anzug. Mister Emptybed hat mal wieder an der Liebe vorbeigefingert.

Sie sei eine Romantikerin, hat Grace Ellen Barkey vor der Deutschlandpremiere ihrer neuesten Choreographie „Tres“ in der Hamburger Kampnagelfabrik gesagt, und mit allen Romantikern teile sie die Verzweiflung darüber, daß es die Liebe nicht geben könne auf Erden, und zwischen den Menschen schon gar nicht. Deshalb das Gerammel: der schnelle, seufzende Griff ins Geschlecht, Stoßen und Reiben an jedem vorübergehenden Körper, während die hastig geöffneten Hosen sich in den Kniekehlen verfangen. Übergangslos und blitzschnell brechen Stereotypen und Automatismen des geschlechtlichen Begehrens aus den Menschen hervor – aus einem sinnlosen Streit, einer zufälligen Begegnung, einem gleichgültigen Blick – und zack: schon klebt man wieder aneinander.

Unbeteiligt, mit leeren Gesichtern gehorchen die zwei Tänzerinnen und vier Tänzer der „Needcompany“ in wechselnden Konstellationen den Zwängen der Triebabfuhr, lassen wieder voneinander ab, mittendrin, wie es scheint, und probieren vor dem Mikrofon eine neue Phrase aus dem Reich der Liebeslieder, während sie sich den Fummel zurechtzupfen, die Hose zuknöpfen: „Deshabillez-moi“, flüstert sie – und er: „Everytime we say goodby, I die a little.“ Währenddessen schnüffelt ein Mann nach Hundeart über den Bühnenboden – und findet schließlich das Damenbein, an dem er sich hektisch und genußfrei reibt.

Longing for love, die Sehnsucht nach der reinen, unschuldigen Liebe soll in diesen Triebentladungen aufscheinen, so will es Barkey. Denn das tierische Begehren und seine egozentrischen, narzißtischen und autoerotischen Gesten und Gebärden maskierten nur den Wunsch nach wahrer menschlicher Begegnung. Wir glauben es ihr ja gerne, der Romantikerin, nur: Wir sehen es nicht. Die große Sehnsucht bleibt bloße Behauptung – aus der Abteilung Programmheftlyrik. Und die Charaktere sind nicht einmal angelegt, geschweige denn ausgearbeitet: Da sie keine Geschichte haben, können sie keine Brüche, keinen Schmerz und keine Leidenschaften zeigen. So fallen und springen, stoßen und taumeln die Tänzer als flache Rammler über die Bühne.

Schauplätze der traurigen Triebe ist ein Nachtclub, ein Cabaret der billigeren Sorte, mehr Metapher als tatsächlicher Raum: vorne, zum Zuschauerraum hin gerichtet, die Bühne des Clubs, auf der die einsamen Desperados der Liebe ihre Sehnsucht bekennen dürfen, hinten links der Umkleideraum, wo die Schlacht der Körper tobt: Zwei Schminktische mit beleuchteten Spiegeln, eine angedeutete Garderobe, rote Kunstlederpolster, an der Wand lehnt ein Schrubber. Wenn das ein einleuchtender Ort wäre, dann könnte er vielleicht die Spannung zwischen der Innen- und der Außenseite des Begehrens vermitteln, könnte den Riß abbilden zwischen den Worten der Liebe und dem Wirken der Triebe – und er könnte den verzweifelten, den sehnsuchtsvollen, den gewalttätigen Bewegungen der Körper zwischen diesen Polen einen Raum geben. Leider entsteht aber überhaupt kein Raum, sondern nur das Bild wahllos zusammengestoppelten Mobiliars, das schummrige Nachtclubatmosphäre vorzeigen soll und nebenbei auch einen Rahmen bietet für Auftritte und Abgänge.

Wie das Stück selbst wirkt auch die Bühne unfertig und konzeptlos. Das mag auch an den Umständen der Produktion liegen: „Tres“ basierte ursprünglich auf Textmaterial von Jean Genet. Die Rechte an diesem Material hat man Grace Ellen Barkey einige Wochen vor dem Premierentermin verweigert. Sie hat das Stück umgebaut und die Genet-Texte durch gesammelte Lesefrüchte und eigene Texte des Ensembles ersetzt. Eigentlich ist die Aufführung also nicht mehr als eine Workshop-Präsentation. Das kann man ja machen, man muß es nur als solches ankündigen – und nicht als existentialistisch-poetisches Gesamtkunstwerk. „In meinen Tagträumen wollte ich, daß er mich liebt“, seufzt der Conferencier. „Keep on dreamin'“, antwortet einer, der vorübergeht. Die Liebe gibt es nur im Traum. „Enjoy yourself“, sprach Mister Emptybed – und fing an zu weinen.

Vom 11. bis 13.1. und 18. bis 20.1. im Theater am Turm, Frankfurt

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