: Versuch über die Sahnetorte Von Susanne Fischer
Falls jemand sein Badezimmer in Marmor renovieren möchte, wird er dafür kaum mehr ausgeben müssen als ich für die Neugestaltung meiner Kauwerkzeuge in Gold und Keramik. Nein, ich schreibe hier auf keinen Fall über meinen Zahnarzt, denn erstens gruselt sich jeder bei Zahnarztgeschichten, was heute ausnahmsweise mal nicht in meiner Textintention liegt, und zweitens sitzt der nette Mann mit dem unangenehmsten Beruf der Welt leider immer noch am längeren Hebel, während ich auf dem Behandlungsstuhl liege und bete, bis mir wieder einfällt, daß ich gerade aus der Kirche ausgetreten bin, um die Zahnarztrechnungen begleichen zu können, so daß Gottes Segen nun vielleicht nicht mehr auf mir ruht, auch in kritischen Situationen nicht, für die sich ja sogar die Heidin so ein kleines Handtaschenherrgöttle hält. Ich hoffe, daß ich auch mit meinen neuen Zähnen noch so lange Sätze bilden kann.
Über etwas Schönes möchte ich schreiben, zum Beispiel über den Glauben. Zwischen zahlenden und nicht zahlenden Heidinnen unterscheidet aber leider sogar das Notgöttchen. Da kann nicht mehr einfach so „ach Gott“ gesagt und geschrieben werden. In Krisen muß ich entweder auf alte heidnische Rituale zurückgreifen oder mir ganz neue Götter suchen.
Es ist übrigens toll, wieviel Menschen anfangen sich zu gruseln, wenn man von Zahnarzterfahrungen spricht. Sie würden einen am liebsten umbringen, auch wenn man vom Tod, Krebs oder Altern spricht. Sterben ist am wenigsten heikel, weil alle doch sehr lange glauben, sie seien die Person, der so etwas Dummes auf gar keinen Fall passieren wird. Krebs ist unangenehmer – den kann man schon haben, ohne es zu wissen; während man kaum tot sein kann, ohne es zu merken, beziehungsweise, dann ist es auch egal. Da wird das Lächeln dünner. Beim Thema „Altern“ sieht jeder über 25 erstaunt drein: du vielleicht – aber ich doch nicht?! Bis ihm oder ihr einfällt, daß der Konfirmandenunterricht auch schon eine Weile zurückliegt. „Ach Gott“, sagen sie dann schnell sicherheitshalber. Und gucken, als ob sie mich lieber nicht kennen würden, weil ich sie daran erinnert habe, daß sie auch mal wieder zum Zahnarzt müßten.
Hier soll sich heute aber niemand gruseln, deshalb möchte ich gerne etwas über Sahnetorten schreiben. Oder über Cremetorten, denn beide sehen sich zwar zum Verwechseln ähnlich und schaden sehr den Zähnen. In ländlichen Gegenden hat sich bis heute das heidnische Ritual des Tortenbuffets gehalten. Zu festlichen Gelegenheiten machen alle Frauen ihre allerschönste Torte, zum Beispiel Eierlikörcremetorte, Bananensahnetorte oder Himbeermussahneschokoladencremetorte. (Zugereiste halten sich da heraus – sie würden vor Scham über ihre kunstlosen Machwerke sofort Krebs kriegen oder sterben). Alle Gäste nehmen sich ein Stück oder zwei und probieren. Sie äußern laut, daß das Backwerk gelungen sei. Unvermutet stehen sie plötzlich ihrem Zahnarzt gegenüber und lassen den Tortenrest auf seine Schuhe fallen. Ich weiß nicht genau, wofür das Ritual gut ist, aber ich glaube, es hilft gegen zu viele Zähne im Mund. In einigen Gegenden wird übrgens auch an das Bezahlen von Rechnungen geglaubt. Es soll einem Ärger vom Hals halten.
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