: Der Himmel über Hohenossig
■ Starker Druck aus dem Osten: Die Werkstattgalerie zeigt Grafiken eines Leipziger Symposions
Ein bißchen muß er schon grinsen, wenn er an damals denkt. Diese ewige Ehrfurcht vor dem Westen. „Alles, was aus dem Westen kam, war immer besser“, sagt Reinhard Rössler und wackelt belustigt mit seinem Vollbart. Die bessere Kunst kam aus dem Westen, die besseren Farben, die bessere Druckgrafik sowieso. Bis Rössler, gelernter Offsetdrucker, nach der Wende selbst mal in den Westen kam, um die Wunderapparate einer westdeutschen Druckwerkstatt zu besichtigen. „Da hab' ich gemerkt: Die kochen auch nur mit Wasser.“ Viel zu lange hätten die Künstler im deutschen Osten ihr Licht unter den Scheffel gestellt. Damit ist es nun vorbei. Grafiker aus Ost und West treffen sich einmal pro Jahr in Rösslers Werkstatt bei Leipzig; längst sind sie zu gleichwertigen Partnern geworden. Was beim jüngsten „Sächsischen Druckgrafik-Symposion“ entstand, ist ab heute in Bremen zu sehen.
Zu falscher Bescheidenheit besteht bei den Leipzigern auch nicht der geringste Anlaß. Leipzig galt und gilt als Hochburg für alles Grafische. Wer lernen will, wie ein klassischer Holzschnitt bewerkstelligt wird, wer die vielen Spielarten der Radierung ausprobieren will, von der derben Kaltnadelradierung bis zu den subtileren Ätzverfahren, der schreibt sich an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchdruck ein. Kunststudenten aus dem Westen, wo doch vermeintlich alles besser war, haben die Stadt längst als Mekka der traditonellen Techniken entdeckt.
Eine Kulturlandschaft, wie geschaffen für Reinhard Rössler und seine Leidenschaft fürs Drucken. Die Kunst ging noch ihren sturen, sozialistischen Gang, als Rössler 1980 aus privater Initiative eine Druckwerkstatt aufmachte. Mit staatlicher Unterstützung. Künstler aus dem ganzen Ostblock tauschten hier ihre Ideen aus; Rössler druckte sie, mit Passion und Präzision. Seit 1990 ist daraus ein Ost-West-Dialog geworden – aber: „Es war klar, daß sowas von staatlicher Seite nicht mehr bezahlt würde.“
Also fielen die Rösslers – seit 1985 druckt auch Ehefrau Jeanette mit – erstmal in ein ziemliches Loch. Wer hatte, kurz nach dem Mauerfall, schon für sowas abwegiges wie die Pflege der Druckgrafik Geld übrig? „Das müssen Sie sich vorstellen wie ein Riesenrad“, sagt Rössler über die Konjunktur seines Mediums und schreibt eine ausholende Ruderbewegung in die Luft – „mal geht's steil nach oben, mal fällt man ziemlich tief runter.“ Aber im Augenblick scheint alles im Lot zu sein bei Rösslers.
Das druckende Ehepaar hat jedenfalls seine Freude an dem, was im letzten Jahr bei der inzwischen fünften Begegnung entstand. Inzwischen findet auch der Leipziger Künstlerbund Gefallen an dem Unternehmen und fungiert als Träger des Symposions. Und der Freistaat Sachsen zahlt so ziemlich alles. So treffen sich nun Künstler aus Ost und West und dem übrigen Europa. Die halbe Welt in Rösslers Häuschen – eine ausgediente Seilerei in Hohenossig, einem Nest in der sächsischen Tiefebene, die sich nördlich der Messestadt ausgießt.
Sowas entspannt, und regt an. Die Drucke, die während des vierwöchigen Zusammenlebens und -arbeitens entstanden, erzählen jedenfalls einiges über den Gedankenaustausch unter den Künstlern und Druckern. Klassenunterschiede zwischen Ost und West wären da auch mit Mühe nicht zu entdecken. Das West-Ost-Gefälle der Kunst hat sich längst als DDR-Märchen erledigt. Das Symposion zeigt Brücken, keine Gräben: Eine gemeinsame Vorliebe für traditionelle Techniken, für Holzschnitt und Radierung, ist in den Arbeiten der –95er Edition nicht zu übersehen.
Bogdan Hoffmann, der Gast aus Bremen, fand in Reinhard Rössler jedenfalls einen Gleichgesinnten für seine Holzschneidekunst. Klare Linien, keine Schraffur, keine Schnörkel, dann alles in fettem, sauberen Schwarz auf Bütten gedruckt. Landkarten und Stadtansichten gehören zu den Lieblingsmotiven des Künstlers. Die Ansichten vom sächsischen Flachland haben ihn sichtlich inspiriert. Auf einer überlangen, in Gedanken endlos fortsetzbaren Papierbahn hat Hoffmann die „Landschaft bei Hohenossig“ festgehalten. Die lakonische Kürzelsprache Hoffmanns, irgendwo zwischen frühem Mittelalter und neuzeitlichem Piktogramm, findet in dem wenig spektakulären Landschaftsmotiv den passenden Gegenstand. Der Himmel über Hohenossig weiß, warum dieses Minimalkunststück so witzig wirkt, so gut unterkühlt.
Aber es geht auch komplizierter. Melissa Maier Galbraith, in Paris lebende Künstlerin, druckte mehrere, völlig unterschieldiche Druckstöcke übereinander. So wird die Illusion, auf dem kleinen Bildformat einen ordentlichen Guckkastenraum wahrzunehmen, Schicht um Schicht gebrochen. Und der Pole Jacek Swierad druckte seine größte Arbeit mit eingefärbten Holzbalken auf die Leinwand. Alles per Hand: als wolle er sich der Reproduktionswut des Kopierzeitalters mit Wucht entgegenstemmem – mit Druck, der aus dem Körper kommt. Thomas Wolff
Bis 2.2. in der Werkstattgalerie, Neustadtswall 61 (im „Güldenhaus“). Zur Ausstellung erscheint eine Edition von fünf Originalgrafiken der beteiligten Künstler.
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