: Prima Klassenkampf-Klima
■ IG Metall Küste will mit Warnstreiks am Mittwoch „letztes Signal“ setzen / Funktionäre aalen sich im Curio-Haus im Stimmungshoch Von Florian Marten
„Komm, wir holen uns unsere Kohle, komm, wir holen, was uns gehört!“ Vielstimmiger Gesang aus rauhen Männerkehlen, markige Worte und Bombenstimmung am Wochenende im Hamburger Curiohaus: 1.400 norddeutsche Metaller hatten sich versammelt, um sich von IG Metall-Bundesboß Klaus Zwickel und Nord-IGM-Chef Frank Teichmüller in Kampfeslaune versetzen zu lassen.
Eine Woche der Entscheidung steht bevor. Während die Metallarbeitgeber heute mit einer bundesweiten Anzeigenkampagne für Kostenentlastung sprich Lohnabbau werben (in der taz natürlich nicht), wird der IG-Metall-Vorstand bis Dienstag auf ein „substantielles Angebot“ der Arbeitgeber warten, so Zwickel. Kommt keins, dann wird die IGM Urabstimmungen und Streiks vorbereiten.
Auch wenn noch nicht feststeht, in welchem Tarifgebiet die IG Metall den Streik durchführen wird: Viel spricht für einen Kampf im Norden. Frank Teichmüller läßt seine Jungs und Mädels deshalb am kommenden Mittwoch zwischen Emden und Flensburg bei einem „gemeinsamen Warnstreiktag“ die Muskeln zeigen, „um deutlich zu machen, daß es jetzt ernst wird“. Noch am Mittwoch will dann auch die IG Metall Küste entscheiden, ob und wie sie in ein Urabstimmungsverfahren eintritt. Teichmüller: „Ein letztes Signal. Wir brauchen ein Angebot, wir brauchen mehr Geld. Es liegt in der Hand der Arbeitgeber, ob gestreikt wird oder nicht.“
Schon im vorigen Jahr hatte die Einsatzzentrale am Besenbinderhof auf das Zeichen zum Losschlagen gewartet. Interne Computeranalysen der IGM hatten gezeigt, daß im zwar flächenmäßig großen, aber metallarbeitsplatzmäßig kleinen Norden die Lieferverflechtungen mit anderen Regionen relativ bescheiden sind. Ein Streik im Norden, so das damalige Kalkül, hat vergleichsweise geringe Auswirkungen und böte deshalb den Unternehmen nur wenig Gelegenheit, zur in Gewerkschaftskreisen gefürchteten „kalten Aussperrung“ zu greifen. Denn die IGM-Kassen erlauben es nicht, kalt Ausgesperrten Streikunterstützung zu zahlen.
Da jedoch jetzt – anders als im Vorjahr – die Konjunktur brummt und viele Unternehmen schon fast über 100 Prozent ihrer normalen Kapazität auslasten, werden die IGM-Streikstrategen vielleicht doch einen Bezirk wählen, in dem es das Unternehmerlager härter trifft.
Wo und wie auch immer: Am Wochenende hätte es gar nicht der Animationsmaschinerie von Dixielandband, Einheizerkabarett und bunten Filmchen bedurft, um die Basis in Stimmung zu bringen. Sie ist heiß wie lange nicht: Überstunden, dicke Auftragsbücher und explodierende Gewinnprognosen machen den Beschäftigten klar, daß diesmal der Hammer nicht allein in der Chefetage hängt. Um Lohnprozente und sonst gar nichts geht es dieses Jahr den Metallern. Gewerkschaftspolitische Beobachter wunderten sich denn auch über „Klassenkampfstimmung wie lange nicht“.
Hamburgs Sozialdemokraten und GewerkschaftsfunktionärInnen, zur Arbeitskampfparty massenhaft erschienen, genossen am Sonnabend denn auch sichtlich das Bad im nostalgischen Stimmungshoch. Hinter den Kulissen freilich macht sich große Nachdenklichkeit breit: Die Gewerkschaftsbosse wittern hinter der seltsam sturen Arbeitgeberhaltung den beharrlichen Versuch, so Teichmüller, „am Flächentarifvertrag zu zündeln“. Und: Die IG Metall ging diesmal nicht zuletzt auf Druck Zwickels mit einer bescheidenen Forderung in die Tarifauseinandersetzung, getrieben von der trügerischen Hoffnung, so Zwickel, „einen schnellen Abschluß“ zu erzielen.
Danach sieht es zur Zeit aber gar nicht aus.
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