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Blödelbarde in Badelatschen

■ Die Wiederauferstehung des Vaters der deutschen Kleinkunst: Ingo Insterburg mit Sambagurke, Kokosschale und Autofelgen, goutiert von Kristof Schreuf

In der „Schlapplachhalde“ in der Rentzelstraße herrscht eine Atmosphäre wie in einem deutschen Fernsehstudio der 60er Jahre: Auch inmitten einer stimmungsarmen Kulisse soll den „Menschen draußen an den Bildschirmen“ vermittelt werden, daß mit der Ausbreitung des vielversprechenden Mediums Fernsehen ein anderes, aufregenderes Leben in Aussicht steht.

In der Zeit dieser Fernsehstudios begann auch eine Ulkbande, deren prototypischstes Mitglied am Donnerstag eben diesen Ort beehrte: Ingo Insterburg. Vor 20 Anwesenden – zwölf Altfans, fünf Neugierigen und zwei Talentsucher von Plattenfirmen – hielt sich der legendäre Blödelbarde in Badelatschen mit seinem Programm „Ein Virtuose mit Zukunft“ wacker.

Zuerst fiel der Unterschied im Tonfall auf. Viel freundlicher als heutige Kollegen aus Kabarett und Kleinkunst gerierte sich Insterburgs Witz. Da entwickelten gestandene Männer Vatergefühle und stellten von der Bühnenkante plumpsende Notenständer zurück an ihren Platz. Ohne Häme, versteckte Kollegenschelte oder bigotte Gönnerhaftigkeit gegenüber Lieblingsfeinden trug Insterburg Lieder über die „Liebe zur Samba-Gurke“ vor.

Die Instrumentierung des Stücks mit montierten Kokosschalen, putzigen Messing-Aufbauten und erwähnter Gurke ließ auch noch 20 Jahre danach erahnen, welchen ideologischen Gehalt das selbstgebastelte Instrumentarium um 1975 mal in sich barg. Statt Synthesizern, die aus Tönen Teppiche machen, und elektrischen Gitarren, in deren Nähe „Gott“ gesehen wird, lüfteten Insterburg & Co seinerzeit das Geheimnis von Melodie und Rhythmus auf ihre charmante Art. Zu sehr auf Ernst und Hirnstarre angelegte Künstelei verhinderte Insterburg seinerzeit ebenso wie am Donnerstag abend durch liebevoll angeschlagene Autofelgen.

Wenn Neil Young als Vater aller Grunge-Rocker gilt, dann behauptete Insterburg beim Auftritt seinen Status als Vater der aktuellen deutschen Kleinkünstler. Sein ehrenvolles Anliegen: Den Unterschied zwischen einer Pointe und humorigem Geschwätz zu markieren, in aller Leichtigkeit und mit einer Ausnahme denunziationsfrei. „Das Mädchen aus Lichterfelde“ nämlich beinhaltet ebenso einen solchen Unterton wie gewisse Geschichten „aus der Tierwelt“, wo die vermeintlich ansehnlichste Anzahl Zitzen unter ein paar Huffüßlern Streit auslöst. In der „Schapplachhalde“ gickelte und wieherte es trotzdem fast ununterbrochen und wie aus Solidarität.

Beim jokigen sit-in auf und vor der Bühne wollte keiner zu klar entscheiden, ob der einen oder anderen Lachnummer beim Marsch durch die Jahrzehnte vielleicht doch der Atem ausgegangen ist.

„Sie dürfen mir jetzt beim Einpacken zusehen“, beendete Insterburg die Darbietung. Die bunte Instrumentenlandschaft, allein auf der Bühne zurückgelassen, schien schelmisch in Richtung der Anwesenden zu lächeln.

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