Italien jetzt doch ohne Regierung

Trotz vielfacher Bemühungen ist die Administration Dini am Ende. Extreme Parteien setzen sich als Zünglein an der Waage durch. Ob es wirklich Neuwahlen geben wird, ist offen  ■ Aus Rom Werner Raith

Italiens Regierungschef Lamberto Dini sah keinen anderen Ausweg mehr: Nachdem Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro den nach Weihnachten angebotenen Rücktritt abgelehnt und eine Parlamentsdebatte über das Schicksal der Administration durchgesetzt hatte, nahm der Ministerpräsdient nun doch endgültig mit einer nur vier Minuten dauernden Rede am Donnerstag abend Abschied von seinem Amt.

Für den endgültigen Sturz gesorgt hatte massiver Druck der extremen Flügel der Parlamentsparteien: Einträchtig verweigerten sich die Neokommunisten und die Exfaschisten der Nationalen Allianz, und dazu stellte auch die sezessionistische Liga Nord unannehmbare Bedingungen für eine auch nur kurzzeitige Verlängerung des Mandats für Dini.

Mit der Bekräftigung seines Rücktritts hat Dini freilich auch einen schlitzohrigen Schritt getan: Der läßt ihm, anders, als wenn er durch eines der angekündigten Mißtrauensvoten gestürzt worden wäre, die Annahme eines neuen Regierungs- oder zumindest Sondierungsauftrages durch den Staatspräsidenten offen.

Daß letzterer strikt gegen Neuwahlen zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt ist, wissen alle Parteien. Die offizielle Begründung ist das eben begonnenen „italienische Semester“ bei der Präsidentschaft der Europäischen Union. Doch dahinter steht einerseits die Angst Scalfaros, daß sein Erzfeind Silvio Berlusconi und allgemein die radikale Rechte erneut einen Sieg davontragen könnte. Andererseits hegt der alte Christdemokrat die Hoffnung, daß eine Verzögerung von Neuwahlen (die regulär erst im Jahre 1999 fällig wären) die Neuformation der „politischen Mitte“ ermöglicht, also eine Wiedergeburt der in ein halbes Dutzend Parteichen zerfallenen Katholiken-Partei Democrazia Cristiana.

Offiziell haben auch die Führer der großen Parteien mittlerweile ihre Bereitschaft zu Neuwahlen bekundet und sich so auf die Seite der Links- und Rechtsextremen geschlagen, die diese schon lange fordern. Doch das ständige Wenn und Aber läßt eher auf ein Ping- pong von Linksdemokraten und Forza Italia mit dem Ziel einer Wahlverhinderung schließen. Aus gutem Grund: Die Führer beider Parteien haben in den nächsten Monaten schwierige Zeiten zu durchstehen, beide müssen sich vor Gericht verteidigen.

Gegen Silvio Berlusconi beginnt kommende Woche der erste große Korruptionsprozeß, der sich wahrscheinlich über das ganze Jahr hinziehen wird. Außerdem hat ihn nun ein weiterer Ermittlungsbescheid erreicht: Er habe durch allerlei Manöver den Eintritt des einstigen Starstaatsanwalts Antonio Di Pietro in die Politik verhindert. Dies bedeute, daß dem Mann ein bürgerliches Recht entzogen worden sei. So argumentiert jedenfalls die Staatsanwaltschaft Brescia.

Doch auch Linksdemokraten- chef D'Alema wird vor Gericht müssen. Zwar ist noch nicht ausgemacht, ob ein Prozeß gegen ihn stattfinden wird, doch die Staatsanwaltschaft fordert dies, und so wird auch er in den nächsten Monaten wegen Verdachts der Bilanzfälschung zugunsten seiner Partei bei dem für die Anklagezulassung zuständigen Gericht antreten müssen.

Dennoch sind die Manöver der beiden großen Politfürsten in ihren Parteien nicht unumstritten. Silvio Berlusconi, der in den vergangenen Wochen die Bildung einer großen Koalition sondiert hat und damit bei D'Alema auf großes Verständnis gestoßen ist, wird von den „Falken“ seiner Partei erstmals offen kritisiert: Mit den Exkommunisten paktiere man nicht, schließlich habe man sie im Wahlkampf unentwegt verteufelt. Und D'Alema sieht sich bereits seit einiger Zeit wegen seines autoritären Führungsstils zunehmendem Unwillen seiner Basis ausgesetzt: Die von ihm Mitte vorigen Jahres eingeleitete Kollekte für die Füllung der Parteikasse brachte statt der erhofften fünf Millionen Mark nicht einmal zwei ein.

„Die Bildung einer großen Koalition“, hofft denn auch der Chef der Linksformation Rifondazione comunista, Fausto Bertinotti, „wird uns einen Zufluß von mindestens einem Drittel der Linksdemokraten-Mitglieder bescheren“. Und darin geben ihm auch die Mienungsforscher nicht unrecht.