Schöne Depressionen

■ Paavo Berglund und Leif Ove Andsnes in der Musikhalle

Rein skandinavisch wäre das Sonntagmorgen-Konzert in der Musikhalle gewesen, wenn nicht das NDR-Orchester dabei gewesen wäre. Und Beethoven.

Dessen 4. Klavierkonzert op. 58 mit dem Norweger Leif Ove Andsnes am Piano war eingezwängt zwischen zwei Sinfonien aus dem hohen Norden. Ein belebender Kontrast, hätte man meinen können. Wenn nicht Paavo Berglund aus Finnland den Wiener Klassiker, bei aller Trockenheit des Klangs und dem sympathischen Verzicht auf Bombast, eher spätromantisch angelegt hätte – wie die nordische Sinfonik vor- und nachher. Andsnes, ein außerordentlicher Interpret der Klavierkonzerte Griegs und Schumanns, der Soliliteratur Chopins, Griegs und Janaecks, machte notgedrungen mit. Beethovens kompositorische Masse, sonst zu Blitz und Donner geneigt, war ergo nirgends geerdet.

Am Konzertbeginn Joonas Kockonens (geb. 1921) Sinfonie Nr. 1, in der sich eine tristanesk traurige Legato-Linie zusehends stakkatohaften Störungen zu erwehren hat. Erst nach kriegerisch-dissonantem Exzeß im dritten Satz findet sich die Komposition in der depressiven Trauer des Schluß-Adagios. Das klang schön. Man vergaß reinweg, daß es sich um Zwölftonmusik handelte.

In Jean Sibelius' 1. Sinfonie op. 39 nach der Pause schienen schließlich Sinn und Energie der Musik in jeder Sekunde sich selbst zu erzeugen. Plausibel ließ Berg-lund die metrisch und auratisch so verschiedenen Großteile der Sinfonie auseinander hervorgehen, schichtete und verwob sie oder machte sie umschlagen in ihr Gegenteil. Selbst das erste Thema des zweiten Satzes, heutigen Ohren ungenießbar als Urbild aller Westernfilmmusik, klang wie Zitat und leuchtete ein.

Gegen Schluß wehte es wie Tschaikowsky von Rußland her durch die finnischen Weiten der Sinfonik Sibelius'. Paavo Berglund schuf Platz auch dafür, mit viel Sinn für Form und Sehnsucht einer Künstlerseele. Stefan Siegert