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Zeit zum Aufwachen

■ betr.: „Ein Schuß aus der Hüfte“ (Das „Bündnis für Arbeit“ der IG Metall greift in vielem zu kurz), taz vom 9. 1. 96

Der Auftrag der Gewerkschaften, die Vertreter des Kapitals (alter Schule) in den Jahrzehnten einer schier unaufhörlichen Abnahme produzierter Waren und Dienstleistungen auf den gemeinsamen gesellschaftlichen Wachstumsboden zu stellen, ist längst beendet. Spätestens seit 1993 ist klar, daß die Einkommensbildung auf neue Fundamente gestellt werden muß. 20 Prozent prognostizierte Arbeitslose in alphabetisierten Ländern sind ein Armutszeugnis für alle, die die materiellen Ressourcen im Blick, die Befindlichkeiten von Menschen und Landschaften allein nur in Europa beobachten.

In einer Überflußgesellschaft kann zum ersten Mal die Frage gestellt werden, – und das in Arbeit befindliche „Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland“ wird dies in vielen Punkten verdeutlichen – nach welchen Kriterien wir die Grundlage für ein von Sinnfälligkeit getragenes Gemeinwesen schaffen wollen? In dem sich die Menschen vertrauensvoll und offen, ja zufrieden geben? Wenn sich „die Wirtschaft“ als alleinseligmachend begreift, zum Selbstläufer wird, dann verfehlt sie nicht nur ihr Ziel, sondern hinterläßt verbrannte Erde. Auf einem runden Globus fatal?

Mechtild Jansen sieht in ihrem Beitrag wohl die Auflösung des Dilemmas in der Einrichtung von Diskursfeldern mit Anbietern und Abnehmern nicht nur von Arbeit, sondern von Waren und Dienstleistungen – also von Produktion und Endverbrauch, und das ökologisch integriert. Die elektronische Ära ist der geschichtliche Augenblick mit der Frage, ob es gelingt, die Kirche im Dorf zu lassen und 95 Prozent der europäischen Menschen zuzutrauen, ihre Bedürfnisse selbst zu formulieren. Es kann und darf nicht weiter sein, daß uns Ausschuß und Müll das Vernunftslicht ausblasen.

Sinn und Zweck der Indvidualisierung ist doch, daß jeder lernt, das Seine gemäß seiner materiellen und immateriellen Notwendigkeiten formulieren zu können. Die Länder müssen nicht weiter in steigendem Umfang von Herz-, Krebs- und Verkehrstoten, von Allergiebesitzern überzogen werden als denen, die im Kampf ums irdische Glück auf der Strecke bleiben.

Es ist an der Zeit zum Aufwachen. Die Gewerkschaften neuer Art sollten sich nicht nur für ein Bündnis für Arbeit, sondern für ein breites Marktbündnis rüsten. An den Ladentischen steht die ganze Gesellschaft und der Anteil derer, die Wohlstand und Glück neu definieren, ist im Wachsen begriffen. Gisela Canal, Ulm

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