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„Studieren ist schön, die Gesellschaft so schrecklich“

■ An der Scuola Normale im italienischen Pisa lernt man um des Lernens willen

In den heiligen Hallen der Scuola Normale von Pisa trifft sich Claudio Giunta jeden Morgen mit Dante und Petrarca. Er erfreut die alten Dichter mit auswendig gelernten Passagen ihrer Werke. Claudio ist 24, hat seine Laurea, den italienischen Uni-Abschluß, in mittelalterlicher Philologie mit knapp 23 Jahren gemacht und arbeitet jetzt an seinem Perfezionamento, „der Vervollkommnung“ seiner Studien: dem Doktorat der Scuola Normale. Sein Leben spielt sich ab in der Bibliothek der Scuola, der Mensa der Scuola, den Arbeitszimmern der Scuola, mit den Professoren und in seinem Schlafzimmer – dort, wo er gegen zehn Uhr abends stapelweise Bücher aufs Bett legt, um nicht der Versuchung zu erliegen, schlafen zu gehen. Sein Lieblingsfilm ist Pulp Fiction, aber das ist auch der einzige Blödsinn, den er sich erlaubt.

Claudio muß nicht, er will so leben. Nicht wegen eines akademischen Titels, sondern weil ihm das so gefällt: „Ich hab nur ein Leben, und das will ich lieber mit mittelalterlichen Dichtern verbringen als mit Dini und Berlusconi. Studieren ist so schön und die Gesellschaft so schrecklich ...“

Elfenbeinturm par excellence. Wer will, kann sich mit 19 in den Gemäuern der Scuola verkriechen und muß bis zum Lebensende nicht wieder heraus. Die „Normalisti“ werden, kaum aus Mamas Armen entlassen, unter die Fittiche der Scuola Normale genommen: Wohnheimzimmer mit Putzfrau und Wäscheservice, damit ja keine Zeit zum Lernen verloren geht, Leben in Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, von der Freizeit im Musikraum bis zu den drei Mahlzeiten in der Mensa. Claudio: „Wir lernen mehr, also sind wir besser.“

In ganz Italien muß man hohe Studiengebühren bezahlen, nur die Scuola zahlt ein Stipendium. Die Vorstellung, fürs Lernen bezahlt zu werden, hält die Studenten im Zaum. Die Alternative wäre eine Massenuniversität, und viele, weil es in Italien kein Bafög gibt, wohnen bei Mama und Papa. Deshalb lernen sie und halten dem Druck der ständigen Prüfungen stand. Kompensiert wird das ganze Vernünftigsein mit Tischfußball: Am Mensa-Eingang steht das „Billardino“, und da wird am Tisch gerüttelt, geflucht und geschrien, als wäre das das Leben. Wenn dann unvermutet der große Professor DiGiorgi, Mathematiker mit Weltruhm, auftaucht, sich würdevoll zu den Mathestudenten unter den Spielern beugt und sie fragt, ob sie morgen nicht in sein Arbeitszimmer kommen mögen, erröten sie wegen der „Leck-mich-am- Arsch“-Sprüche, die da gerade durchs Zimmer geflogen sind.

Der weißhaarige Professor lebt wie seine Studenten: Er schläft in einem Wohnheimzimmer am Arno, ißt in der Mensa und hat sein Leben ganz der Mathematik gewidmet. „Mathematiker müßte man sein“, seufzt Claudio. „Da kann man mit 24 Jahren Ricercatore werden.“ Ricercatore, das ist eine Art Assistenzstelle auf Lebenszeit im Mittelbau italienischer Universitäten, ein wichtiger Schritt für zukünftige Professoren. Einem Freund von Claudio, einem Mathematiker eben, ist das Bravourstück gelungen. Nach durchzechter Nacht auf einer Fete in Pisa ist er nachts um vier in einen Zug gestiegen, um am nächsten Morgen in Rom beim ganztägigen Auswahlwettbewerb sämtlichen gut vorbereiteten und um einiges erfahreneren Mathematikern den Platz wegzuschnappen. Tanja Busse, Pisa

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