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Der nächste Tax X in Gorleben

„Unser Lachen wird sie besiegen“: Erklärung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg zu ihren kommenden Aktionen  ■ Von Wolfgang Ehmke

Wir stehen 1996 erneut vor einer Kraftprobe. Im Atomkraftwerk Gundremmingen bereiten die Betreiber die Beladung eines Castor Ic vor, in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) La Hague laufen die Vorbereitungen TS28V auf Hochtouren. Erstmals sollen verglaste hochaktive Abfälle, die bei der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente anfallen, aus Frankreich nach Deutschland abtransportiert werden. Zielort für beide Transporte ist das Zwischenlager in Gorleben.

Dort steht seit dem 25. April 1995 ein erster Castorbehälter in der Lagerhalle. Jahrelang war es uns gelungen, die Inbetriebnahme des Zwischenlagers zu verhindern, monatelang konnte der erste heiße Transport aus Philippsburg nach Gorleben verzögert werden. Ob der nächste Transport aus Gundremmingen oder aber aus La Hague kommt, ist uns gleich. In der Mobilisierung dagegen, um ihn zu verhindern, machen wir keinerlei Unterschiede. Mal geht es um den Ausstieg aus der Atomstromproduktion, mal geht es um den Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft. Rechtlich ist die Lage natürlich verwickelter. Die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), die letztlich an beiden Transporten beziehungsweise der Lagerung des hochradioaktiven Mülls in Gorleben verdient, verweist auf die völkerrechtlich bindenden Verträge, die die Rücknahme der strahlenden Abfälle aus der Plutoniumschmiede in La Hague regeln. Die Betreiberin der französischen WAA, die Cogéma, will in erster Linie auch verdienen: sei es über die langfristige Zwischenlagerung der Castorbehälter, sei es mit der Auslastung ihrer Anlage, sei es mit der Konditionierung der Abfälle. Da kennt die Cogéma keine Skrupel. Deshalb kennen auch wir keine Skrupel. Solange die Wiederaufarbeitungsverträge zwischen deutschen Atomstromproduzenten und der Cogéma nicht gekündigt werden, fordert jeder Transport – sowohl der abgebrannten Brennelemente nach La Hague als auch der Kokillen nach Gorleben – unseren Protest heraus.

Der nächste Tag X könnte wieder auf den Monat April fallen. X2 heißt dieses Datum in der Anti- Atom-Szene. die doppelte Bedrohung erfordert eben mehr als verdoppelte Anstrengungen, um eine weitere Einlagerung in Gorleben abzuwenden. Allein die Kosten für die Transportbegleitung durch Polizei und BGS beliefen sich im letzten Jahr auf zirka 55 Millionen Mark, das war einer der teuersten Polizeieinsätze in der Nachkriegsgeschichte.

Das ehrgeizige Ziel ist gesteckt. Auch der nächste Tag X muß die Gegenseite möglichst teuer zu stehen kommen. Wir meinen damit in erster Linie nicht den materiellen Schaden, sondern den politischen Preis, den Gesichtsverlust offizieller Politik, die auch im Jahre zehn nach Tschernobyl zur Energieerzeugung auf die lebensbedrohende Atomkraft und den Jahrtausende strahlenden Müll setzt. Wir setzen auf die gewachsene Bereitschaft im Wendland, am TagX2 noch massenhafter auf die Straße zu gehen, auf gewaltfreie und direkte Aktionen. Wir setzen weiterhin auf die bundesweite Unterstützung der Anti-AKW-Bewegung, weil es uns nicht um eine bornierte Standortpolitik, sondern um das Kippen des Atomprogramms geht.

Es war und ist nicht unser Stil, jede Aktion im Zusammenhang mit Castortransporten zu kommentieren. Es ist auch nicht unsere Sache, uns von etwas zu distanzieren, was wir nicht zu verantworten haben. Das werden wir auch in Zukunft nicht tun. Für zwei Zwischenfälle im vergangenen Jahr aber gilt: Wer hier schweigt, macht sich mitschuldig. Meldung Nr. 1 „30. 6. 1995. Bei Northeim liegt ein Stahlträger auf den Schienen. Ein ICE entgleist nur wegen seines hohen Tempos nicht.“ Meldung Nr. 2 „27. 9. 1995. Auf der Bahnstrecke Hannover–Uelzen wird ein 65 Kilogramm schwerer Betonklotz entdeckt, der offenbar den Zugverkehr behindern sollte.“

Es tröstet nicht im geringsten zu wissen, daß es in diesen Fällen keinerlei Bekennerschreiben gab, daß sogar angenommen wird, daß der erwähnte Stahlträger bei Trassierungsarbeiten eine Böschung hinunterrutschte und auf die Gleise fiel. Wen wundert es, wenn Medien vorschnell und ungeprüft ihre Version streuen, es handle sich um „Anschläge militanter Atomkraftgegner“ (wie in den beiden zitierten Fällen geschehen), wenn wir nicht deutlich Grenzen ziehen?

Wiederholt haben wir betont, daß durch Aktionen von Atomkraftgegnern keine Menschen in Gefahr gebracht werden dürfen. Sagen wir es noch klarer: Wer durch sein Tun riskiert, daß ein Zug entgleist, hat in der Anti- Atom-Bewegung nichts verloren! Wir müssen unserem Ethos, für das Leben zu kämpfen, auch in der Wahl unserer Mittel gerecht werden, sonst können wir einpacken.

Wir sagen aber auch: Die Deutsche Bahn AG macht sich durch die Garantie eines reibungslosen Ablaufs der Castortransporte selbst zur Zielscheibe der Kritik. Wer zwingt eigentlich die Bahn, diese Transporte zu besorgen?

Entsprechend unserer Grundüberzeugungen sympathisieren wir deshalb mit Aktionen zivilen Ungehorsams wie „Ausrangiert!“ Symbolisch-demonstrativ wurden unter diesem Slogan im vergangenen Jahr Schienen demontiert, und zwar direkt am Tor eines Atomkraftwerks wie in Gundremmingen oder am Castor-Verladekran in Dannenberg. Kein Mensch wurde gefährdet, der politische Bezug zum Castor war klar, die Akteure stehen persönlich und öffentlich dafür ein. Viele Mitglieder der Bürgerinitiative haben diese Aktionen unterstützt.

Um den politischen Preis für weitere Castortransporte möglichst in die Höhe zu treiben, brauchen wir 1996 Mut und Entschlossenheit, mehr Zivilcourage, noch viel mehr Menschen, die trotz der Versammlungs- und Demonstrationsverbote auf die Schiene und auf die Straße gehen. Unser Lachen wird sie besiegen.

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