: Im Hundehimmel
■ Lili Fischer präsentiert sich zur Abwechslung mal performancelos mit Zeichnungen und Wandschatten
Die Galerieräume sind modern und sachlich, aber in der aktuellen Ausstellung besetzen graue Wesen die Wände, die sonst in Kellergewölben und hinter Schloßvorhängen ihr Unwesen trieben. Lili Fischer wollte ihren weitgereisten Fliesfiguren einmal die Chance geben, sich ohne weiteres Drumherum im sachlichen Rahmen der Galerie Gardy Wiechern zu präsentieren. Eine Abordnung der Scheusalhorde hat die linke, „böse“ Wand besetzt. Vor drei Jahren wurde ihnen im Keller unter der Deichtorhalle zur Mediale etwas vorgeheult, inzwischen waren sie in Graz, Hildesheim und Schwalenberg.
Gegenüber, auf der rechten, der „guten“ Seite fliegen, schweben und trudeln als Kontrastprogramm die Grazien. Beide Figurengruppen, die in ihrem grauen Flies ganz dimensionslos wie gezeichnet wirken, wurden als Umgebung für Lili Fischers Performances bisher zu wenig beachtet.
An der Treppenwand dann laufen einige Schattenhunde hinauf zum oberen Galerieraum: Hier zeigt Lili Fischer Zeichnungen. „Mit der Zeichnung fängt immer alles an“, sagt die Hamburger Künstlerin. „Ich komme ganz stark von der Linie her... von irgendeiner Ecke wird man ja immer angenommen, obwohl, eigentlich ist man ja rund.“ Das Hexenimage ihrer energiegeladenen, komplexen Performances macht oft die klassische Kunstkompetenz zur Nebensache, mit der sie zarte Striche zu Wolken und Wind formt oder geisterhafte Erscheinungen bannt.
Aus Tuschelinien ensteht so ein „Hundehimmel“ oder andere magisch-ironische Momentaufnahmen heimlicher Welten wie eine „Seelenwanderung aus Odins Fahrtenbuch“. Bündel einzelner Linien verwirbeln sich zu einer Tanzbewegung oder verlieren zum Bildrand hin unmerklich ihren Charakter und werden zur Schrift.
Die Schattenfiguren leben durch ihren gestischen Ausdruck, sie haben keine individuellen Gesichtszüge. Hier sind sie jetzt angetreten, um eine ganze Wand mit „Gesichtern“ zu flankieren. Es sind ganz neue Rötelzeichnungen auf gerissenem Papier, das in runde, gewölbte Glasrahmen gefaßt ist. So ergibt sich nicht nur von der Form her Ähnlichkeit mit den Tondi der Renaissance, auch von der Art der Zeichnung klingen die grotesken Physiognomiestudien Meister Leonardos an. Manche sind eher Personen von heute, andere erinnern mit hohlen Augen an antike Brunnen.
Doch Lili Fischer wird niemals ganz darauf verzichten, die Menschen um sich zu organisieren und zu animieren: Die Eröffnungsrede am vergangenen Freitag hielt sie selbst, und später gab es ein „Salonpicknick“ mit Sitzgelegenheiten aus rohen Baumabschitten. So verwandelte sich die sachliche Neubau-Galerie doch noch in ein von guten und bösen Schattenwesen umhuschtes Feldlager, über dem eine Kornweihe schwebte, die genau zu registrieren schien, wer kam und ging, wer guckte und trank.
Hajo Schiff
Galerie Gardy Wiechern, Alter Steinweg 1, Di-Fr 12-18, Do bis 20 Uhr, Sa 11-15 Uhr; bis 3. Februar
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