: Vom Auf-den-Tag-Schauen
■ Auch die seriösen Fernsehnachrichten von ARD und ZDF brauchen Bilder. Aber der "Mann vor Ort" steht der seriösen Nachricht oft mehr im Wege, als er ihr nützt
Am Anfang war das Wort, und das Wort war die „Tagesschau“. Deutschlands Nachkriegsfernsehen startete mit einem zweistündigen Abendprogramm. Davor herrschte das Grundrauschen des Universums. Der Schöpfungsakt begann seit 1. Januar 1952 täglich um 20.00 Uhr mit der „Tagesschau“, gefolgt von den ersten Unterhaltungssendungen und Filmen. Pünktlich um 22 Uhr versank die Schöpfung dann wieder im Chaos, bis zum nächsten Abend.
Vorbei die Zeiten. Längst hat das 24-Stunden-Dauerprogramm das Grundrauschen aus dem Äther verdrängt, die ARD-Sendung hat ihr Monopol verloren. Doch noch immer strukturiert ihr Beginn um 20 Uhr den Abend für einen Großteil der Bundesbürger (darunter wohl nicht wenige, deren Fernsehkonsum sich auf diese und andere Informationssendungen beschränkt). Inklusive ihrer Zuschauer in den Dritten Programmen kommt sie immer noch auf über 30 Prozent Marktanteil, „RTL-aktuell“ liegt schon bei fast 20 Prozent (und zählt man nur die Unterfünfzigjährigen, ist die „Tagesschau“ schon fast eingeholt).
Im Angesicht der Konkurrenz von Privatsendern, die ihre eigenen Nachrichtenredaktionen und Korrespondentennetze aufbauen, geben sich ARD und ZDF selbstbewußt: Seriöse Information, sagen sie, ist durch nichts zu ersetzen. Doch wie seriös können Nachrichtensendungen im Fernsehen überhaupt noch sein – dort, wo es um die Vermittlung politischer Neuigkeiten geht, die sich jenseits abbildbarer Ereignisse konstituieren?
Vier Jahrzehnte Fernsehen haben mit unseren Sehgewohnheiten auch die Erwartungen an Nachrichtensendungen radikal verändert. Wollen und bekamen wir einst bebilderte Rundfunknachrichten, so hat sich das Verhältnis von Bild und Text im Laufe der Zeit umgekehrt: Alles muß sichtbar gemacht werden, selbst wenn es eigentlich nichts zu sehen gibt; oder eben nur das Drumherum (der an- und abfahrenden Politiker) und Archivbilder (aus früheren Phasen eines Krieges).
„Jede Nach-richt“, bemerkt der Filmautor und Medienpublizist Klaus Kreimeier in seinem klugen Buch, das er ironisch „Lob des Fernsehens“ betitelt, „ist gealterte Zeit; sie steht der ,Echtzeit‘ der Liveübertragung im Weg und wird von ihr absorbiert.“ Das Live-Dabeisein ist halt zum Wesen des Fernsehens geworden – es bringt uns die (scheinbare) Realität ins Wohnzimmer und macht den Bildschirm für die große Mehrheit derer, die ihn anschalten, zum idealen Unterhaltungsmedium.
Auch die seriösesten Nachrichtensendungen entkommen diesem Bilderuniversum und seiner Semantik nicht. Sicher, sie können sich absetzen von Infotainmentsendungen und Boulevardnachrichten. Aber auch „Tagesschau“ und „Heute“ vermitteln letztlich nur die Illusion von Informiertheit. Im Quotenkampf (und wo sonst, wenn nicht hier, sollen ARD und ZDF ihn aufnehmen) müssen auch sie zu pseudoauthentischen Bildern greifen. Besser als gar keine. Wo sich die Politik nicht abbilden läßt, wird eben die Inszenierung derselben gezeigt. Hauptsache, der Mikrofonhalter steht „vor Ort“.
Zum Glück lassen sich die Zuschauer gerne täuschen, in diese Pseudorealität mitnehmen, und zwar von allen Sendern – Fernsehen funktioniert als Illusionsmedium. Der Vorsprung der Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem einmalig dichten Korrespondentennetz und ihrem erfahrenen Personal ist da nur ein sehr relativer. Genau deshalb werden Privatsender prinzipiell nicht weniger Chancen haben, mit ihren Nachrichtensendungen zu reüssieren. Noch schlägt für über 8 Millionen zur vollen Stunde der „Tagesschau-Gong“, aber das muß nicht immer so bleiben. Michael Rediske
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