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Fahrrad oder Leben

■ Ein Fall von Beschaffungskriminalität

Fahrraddiebstähle, zum Teil unter massiver Gewaltandrohung, Handtaschenraub, Scheckbetrug und Urkundenfälschung, Einbrüche und exzessives Schwarzfahren in Bremens Öffentlichen Verkehrskehrsmitteln - mit der vom Staatsanwalt Wachsmuth verlesenen schier endlosen Anklageschrift wurde gestern am Amtsgericht Bremen das Verfahren gegen den 35jährigen Frank F. aus Bremen eingeleitet. Der saß blaß aber gefaßt neben seinem Verteidiger Martin Stuck, der gleich zu Beginn seiner Ausführungen das Problem auf den Punkt brachte: „Mein Mandant kann sich an viele hier geschilderte Situationen leider nicht mehr erinnern, will aber die Taten keineswegs in Abrede stellen.“

Frank F. war am 13. September vergangenen Jahres nach einer Serie brutaler Fahrraddiebstähle gefaßt geworden und sitzt seitdem in Untersuchungshafthaft. Ihm wird nun unter anderem vorgeworfen, mehreren Kindern unter massiven Drohungen ihre Mountain-Bikes abgenommen und damit davongefahren zu sein - um sie anschließend an den erstbesten Interessierten zu verkaufen. Diebstähle ja, Gewalt nein, beteuerte der Angeklagte in der gestrigen Verhandlung immer wieder: „Soweit ich mich erinnern kann, bin ich niemals gewalttätig geworden.“ Ja, er habe am 18. August einem Mädchen das Fahrrad weggenommen, sie dabei aber nicht wie von der Anklage geschildert zu Boden gestoßen.

An den zweiten Fall in dieser Sache könne er sich überhaupt nicht erinnern: da soll Frank F. mit geballter Faust einem zwölfährigen Jungen sein Fahrrad abgeknöpft haben. „Darüber weiß ich wirklich nichts mehr – will aber auch nichts ausschließen.“ Achselzucken auch im letzten Fall: Mit den Worten: „Wenn du das Rad nicht herausrückst, stech' ich dich ab“, habe Frank F. am 6. September einem elfjährigen Mädchen gedroht, ihr daraufhin das Mountain-Bike abgenommen und noch am selben Tag für 60 Mark verkauft. F.'s Kommentar: „Auch dazu kann ich nichts sagen.“

Frank F., der sich nach eigenen Angaben seit dem Tag seiner Verhaftung an nichts mehr erinnern kann, ist seit 18 Jahren heroinabhängig. 150 Mark pro Tag habe er für die Beschaffung von Stoff, meist Heroin oder Kokain, gebraucht, gab Frank F. im November vergangenen Jahres zu Protokoll. Bei manchen Delikten sei er einfach „bis Oberkante“ voll gewesen – „ich weiß, daß entschuldigt nichts“ – aber aus diesem Grund könne er sich sich an die meisten Geschichten nicht erinnern, bemühte sich der Angeklagte gestern um eine Erklärung seiner so zahlreichen Blackouts, die der Vorsitzende Richter Gerboth mit offensichtlicher Gelassenheit trug.

Im Fall Frank F. sind zwei weitere Verhandlungstermine vorgesehen, das Urteil soll am 31.1. verkündet werden. sal

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