Emotional und global

■ "Das ist kein Klischee, sondern die Wahrheit": Der DFFB-Absolvent Fred Kelemen verteidigt seinen überall gefeierten Abschlußfilm "Verhängnis/Fate" als endzeitliche Momentaufnahme. Ein Gespräch

Ein junger Mann (Valerij Fedorenko) zieht mit seinem Akkordeon durch eine Großstadt X. Ist es Berlin, ist es eine Ruhrpott- oder Osteuropa-Metropole? Von allem etwas und nix davon, eben eine Filmstadt der morbiden Sorte. In seinem endzeitlichen Sprach- und Handlungsminimalismus erinnert Fred Kelemens Film „Verhängnis/Fate“ an Filmemacher wie Sokurov oder Béla Tarr.

Das Licht ist submarin, die Bildstruktur bewußt aufgelöst körnig, die langgezogene, gedehnte Melodik des Akkordeons vertieft noch die melancholisch-unwirkliche Grundstimmung des Films. Dabei sind die Etappen, ist, besser gesagt, die fatale Handlungsfolge eigentlich schlicht und ziemlich real: Einer spielt für Geld sein Instrument, auf Demütigung folgt Verzweiflung, eine Frau (Sanja Spengler) wird besucht, ein Unfall mit Todesfolge passiert, dieselbe Frau wird hergenommen und offenbar vergewaltigt. Denn es ist Nacht, und es ist einsam in der Stadt. Kelemens Film erhielt im letzten Jahr den Bundesfilmpreis und lief seitdem auf zahlreichen internationalen Festivals. (Siehe auch die ausführliche Besprechung im überregionalen Kulturteil.)

taz: Es gibt in Ihrem Film zwei unterschiedliche Barszenen. In einer spielt der Protagonist unbehelligt Billard, die andere fängt an mit einer Frau, die sich besäuft, und endet mit einem sexuellen Übergriff. Ist das nicht ziemlich klischeehaft?

Fred Kelemen: Ich sehe diese Frau nicht als Opfer. Ich habe die Szene gemeinsam mit der Schauspielerin (Sanja Spengler) sehr genau gearbeitet. Sie ist die Schwächere und insofern ausgeliefert. So wie der einzelne tendenziell Opfer des Kollektivs ist. In dem Fall wird kollektiv beschlossen, diese Person zu zerstören. Das ist kein Klischee, sondern die Wahrheit. So wie Skinheads einen einzelnen Ausländer fertig machen. Immer die Gruppe gegen den einzelnen. Daß sie eine Frau ist, macht die Sache um so wahrer, weil die Frau gesellschaftlich immer noch in der schwächeren Position ist. Viel entscheidender ist es für mich, daß sie nach dieser Demütigung aufsteht. Und mit welcher Würde die Figur das tut.

Am Ende des Filmsgeht sie dahin zurück, wo sie herkommt, als sei das schicksalhaft. Wieder kein Klischee?

Sie geht zu dem zurück, was sie kennt. Wer ändert schon sein Leben um 180 Grad? Sie geht an den Ort ihres Schmerzes zurück. Sie geht aus dem Bild raus, in die Landschaft hinein, anstatt sich umzudrehen und auf die Kamera zuzugehen, also umzukehren. Aber dann wäre sie eine Heldin. Und mein Film spricht nicht von Helden, sondern von Menschen.

Wir sehen im Film eine Stadt, manchmal Berlin, manchmal irgendwo. Warum diese amorphe Stadtlandschaft?

Es ist definitiv kein Berlin-Film. Sondern irgendeine Stadt, die sich aus Fragmenten zusammensetzt und ganz absichtlich nicht real ist. Die Anfangsszene ist in Budapest gedreht, Teile außerhalb Berlins. Filmisch ist es eine Stadt, das ist das Wesentliche. Berlin mag prädestiniert für die Handlung des Films sein, ist aber nicht explizit gemeint.

Der Titel „Verhängnis“ klingt nicht gerade hoffnungsvoll, eher wie ein Vermächtnis.

Wir leben in einer Endzeit. Die Vorstellung eines Endes ist gleichzeitig eine Illusion. Emotional und global befinden wir uns allerdings in einer Endzeit. 58 Kriege, zur gleichen Zeit, wie im Augenblick, hat es noch nie gegeben. Der Zustand der natürlichen Ressourcen, der Zusammenbruch Osteuropas reichen mir dabei als Argumente.

Ist der Prolog des Films mit den Gesichtern von obdachlosen Männern und Frauen in Budapest eine Hommage an diese Leute, die Story sozusagen die Geschichte zu den Gesichtern, eine fiktive Nachtepisode aus diesem Milieu?

Es geht nicht um irgendeine spezielle Gruppe, sondern um Individuen, seien es jetzt Russen, Deutsche oder andere. Auf die einzelnen Gesichter in der Eingangssequenz kam es mir an. Bei einem bleibt die Kamera hängen, aber es hätte auch mit demselben Recht ein anderes sein können. Interview: Gudrun Holz

Aufführungstermine von „Verhängnis/Fate“ siehe cinemataz