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Akzentfreie Amazonen im Goldrahmen

■ Das türkisch-deutsche Theaterfestival Diyalogisch eröffnet mit „Frauenporträts“

Dort, wo sich ein Dönerimbiß an den nächsten reiht, veranstaltet das türkische Kulturensemble „Diyalog“ sein diesjähriges Theaterfest. Das hat zum einen den Grund, daß das Ensemble schon seit mehr als 10 Jahren mit dem Ballhaus Naunynstraße zusammenarbeitet und seine eigenen Räume sich gleich um die Ecke in der Oranienstraße befinden. Zum anderen ist der Ort jedoch auch symptomatisch für die Situation, in der sich das Theater türkischer Migranten befindet. Vom deutschen Publikum immer noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, fristet es sein Dasein im Ghetto.

„Raus aus der Ausländerecke“, lautete folglich eine zentrale Forderung der Podiumsdiskussion, bei der zu Beginn des Theaterfests das eigene Selbstverständnis diskutiert wurde. „Meine individuellen Fähigkeiten, mein Charakter ist nicht gefragt“, empört sich der Schauspieler Yüksel Yolcu, „wenn man mir eine Rolle anbietet, heißt es bloß, wir brauchen einen Türken.“

Und natürlich wissen deutsche Regisseure bestens Bescheid, was ein Türke oder eine Türkin für Probleme hat. Idil Üner, die kürzlich ihre Schauspielausbildung an der HdK abgeschlossen hat, kann ein Lied davon singen: „Die letzten drei Rollen, die mir angeboten wurden, sind alle gleich: Ein türkisches Mädchen, das von ihrem Vater in die Türkei zurückgeschickt wird, um dort verheiratet zu werden.“ Oft seien Regisseure sogar enttäuscht, wenn der angeheuerte „Ausländer“ gar nicht so exotisch aussieht, wie der Name verspricht und auch noch akzentfrei deutsch spricht.

Um solche Klischees aufzubrechen, bedarf es eigener Regisseure und Autoren, die aber in der türkischen Theaterszene rar sind. Für die Idee eines anderen, eigenen Theaters konnte sich außer Yüksel Yolcu jedoch niemand auf dem Podium so recht begeistern. Während er leidenschaftlich für ein gemeinsames Projekt eintrat und beklagte, daß jeder nur in seiner eigenen Soße schwimme, träumten die anderen von klassischen Rollen auf großen deutschen Bühnen. Akzentfreies Hochdeutsch ist dafür Voraussetzung. Natürlich schwebte jedem vor, eine besondere Note in das deutsche Theater einzubringen – wir sind schließlich anders, meinte die Kulturmanagerin Lale Konuk. Anders allerdings ist jeder auf seine Art. Allein die Tatsache, ausländische Eltern zu haben, reicht als kleinster gemeinsamer Nenner nicht aus.

Auch Necla Kaya hat mit Ausländerproblemen auf der Bühne nicht mehr viel am Hut, für sie ist das nur ein mögliches Thema unter vielen anderen. Als Regisseurin der Gruppe Schemschamer eröffnete sie mit „Frauenporträts aus freien Stücken“ die Aufführungsreihe des Theaterfests. Ein riesiger goldener Bilderrahmen beherrscht die Bühne des Ballhauses. Darin posieren wie auf einer Jugendstilpostkarte fünf Nymphen in weißen Satinkleidern und mit Blütenkränzen im Haar. Nachdem sie dem Rahmen entstiegen sind, tänzeln sie traumwandlerisch über die Bühne, ziehen schelmisch Äpfel hinter dem Rücken hervor und bieten sie dem Publikum an.

Plötzlich lauter Donner, kreischend flüchten die Mädchen ins Dunkel. Szenenwechsel. Die Regisseurin, an ein Seil gespannt. Am anderen Ende kommt ein Mann zum Vorschein. Pinkfarbene Pumps fallen vom Himmel. Ein kurzer absurder Dialog, und schon folgt die nächste Szene. Ein naives Mädchen, das von einem Tanzvergnügen erzählt.

Necla Kayas zweite Regiearbeit ist eine Montage aus sechs Textfragmenten verschiedener Autoren und vier eigenen, wortlosen Szenen. Zusammengehalten werden die zehn Bilder äußerlich durch den Goldrahmen – ein hübscher Einfall. Inhaltlich verbindet die Szenen hingegen nichts außer dem Thema der Selbstdarstellung von Frauen. Ob die sich nun mit Texten von Heiner Müller, Thomas Brasch, Mercè Rodoreda, Bertolt Brecht oder Tennessee Williams zu Wort melden, ist völlig beliebig.

Dazwischen schiebt die Regisseurin Bilder wie die Eingangsszene „Vertreibung aus dem Paradies“ oder das Putzfrauenballett „Amazonentanz“, die wohl eine Art kollektives Frauenbild hergeben sollen. Diese Szenen leiden allerdings unter bemühter Witzigkeit und ziemlich plattem Pathos. Die Laiendarstellerinnen, aus denen sich die Gruppe Schemschamer zusammensetzt, sind außerdem etwas überfordert, den Texten gerecht zu werden. Bis auf Illknur Boyraz, der die „Jüdische Frau“ wirklich überzeugend gelingt, deklamieren sie nur, schauen theatralisch ins Leere und wirken wie kleine Mädchen, die in Mutters viel zu große Stöckelschuhe geschlüpft sind und stolz damit herumstolpern.

Necla Kaya hat ihren Bilderbogen völlig überladen. Etwas mehr Selbstbeschränkung und dafür mehr Sorgfalt auf die einzelnen Szenen zu legen, wäre mehr gewesen. Anne Winter

„Frauenporträts“, wieder am 29., 30. und 31.1., 19.30 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg

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