: Generalstaatsanwalt unter schwerem Beschuß
■ Behördenchef am Berliner Landgericht beleidigt die Richter- und Anwaltschaft
Im Kriminalgericht Moabit ist die Stimmung auf dem Siedepunkt. Auslöser war ein Interview, das der Generalstaatsanwalt am Landgericht, Hansjürgen Karge, Anfang der Woche der Morgenpost gab. „Weniger schwätzen, härter arbeiten“, lautete die Botschaft, die der Behördenchef von 330 StaatsanwältInnen diesen via Presse überbrachte. Aber auch die Richter- und Anwaltschaft bekam ihr Fett ab.
Ein Sturm der Entrüstung brach los, dessen Wogen sich noch nicht geglättet haben. Der Deutsche Richterbund und der Präsident des Landgerichts schickten empörte Protestnoten.
Für die Staatsanwaltschaft beschwerten sich die Hauptabteilungsleiter persönlich bei Karge. Die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger sprach gestern von Verleumdung und Hetze gegen den gesamten Anwaltsstand und will vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses die Absetzung desGeneralstaatsanwalts fordern.
Offensichtlich um Schadensbegrenzung bemüht, sprach Karge daraufhin mit dem Tagesspiegel und wurde in diesem gestern mit den Worten zitiert: „Ich bin entsetzt über das Ausmaß der Empörung, das mir selbstkritisch zu denken geben muß.“ Aber im nächsten Satz erklärt er, daß er an der von ihm geäußerten Kritik festhalte.
Im besagten Interview hatte Karge sich vor allem die jungen Staatsanwälte vorgeknöpft: Sie seien „verwöhnt und egostisch" und müßten sich an harte Arbeit „erst noch gewöhnen“. Zu den Richtern hieß es: „Viele begreifen noch zu wenig, daß sie nicht im luftleeren Raum arbeiten, sondern eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft haben“.
Last, but not least hatte er die Rechtsanwälte des Politaktivisten Kunzelmann beschimpft. Kunzelmann hatte in seinem Prozeß kürzlich ein Ei auf dem Kopf des als Zeugen geladenen Regierenden Bürgermeisters Diepgen geworfen. Die Anwälte Christian Ströbele und Hans Joachim Ehrig hätten „dumm gegrinst“, so Karge, und Kunzelmann „geistige Unterstützung“ geleistet.
Die Staatsanwaltschaft nimmt dem Chef den Rundumschlag sehr übel. Damit habe er die gesamte Innung blamiert. Natürlich gebe es auch unter den Staatsanwälten „wie überall“ Faulköpfe. Aber der aus der Kleinstadt Marburg kommende Karge habe keinerlei Vorstellung von den Schwierigkeiten der Kriminalitätsbekämpfung in einer Großstadt. Viele junge Staatsanwälte sähen vor lauter Arbeit schon „wie Zombies aus“. Auch der Landgerichtspräsident Manfred Herzig schoß scharf zurück, indem er Karge „Stammtisch“-Niveau bescheinigte, „für das man möglicherweise in bestimmten Kreisen Beifall erwarten kann“.
Kunzelmanns Anwalt Hajo Ehrig behält sich eine Strafanzeige wegen Beleidigung gegen Karge vor. Justizsprecherin Uta Fölster erklärte auf Nachfrage, es werde bei der Justizsenatorin demnächst ein Gespräch „zu dem Thema“ mit beiden Generalstaatsanwälten geben. Plutonia Plarre
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