Liebe, Sex und Katzen

Schrotten konsequent an der Gesamtpoplage vorbei: Stereo Total, die internationale Berliner Heimwerkerband, die in jede Küche paßt. Gebt ihnen ein Pfund Trash, und sie machen „irgendwelchen Scheiß damit“  ■ Von Gerrit Bartels

Die Berliner „Hafenbar“ ist einer der Orte, die eine der schäumendsten Popwellen der vergangenen zwei Jahre hervorgebracht haben: Easy Listening, das leichte und reuelose Hören von Schlagern, Schund und swingender Big- Band-Musik. Ein bißchen irritiert schaute ein Teil des Publikums schon aus der Wäsche, als an einem trüben Dezembertag eine Band namens Stereo Total dort ihren Auftritt hatte. Erst liefen sehr offene, computeranimierte Filmchen einer Dame namens S.M. van der Linden, vertont mit klangvollen pornographischen Endlosschleifen; und dann, kaum zu sehen, fast zu ebener Erde, in einer halbdunklen Ecke, schrotteten Stereo Total ihre Lieder von Liebe, Sex und Katzen herunter, semiakustisch im Band-Line-up, mit gerade mal drei Mikrofonen, die sie ins DJ-Pult gesteckt hatten – als Verstärker.

Ganz von ungefähr kommen solch hübsch befremdliche Auftritte natürlich nicht. Brezel Göring und Françoise Cactus – wenn man so will, der harte Personality- Kern von Stereo Total – sind in gewissen Gegenden durchaus Träger klingender Namen. Françoise, gebürtige Französin, war Sängerin der rock'n'rollenden Lolitas, oft gesehen und gehört auch als chansoneske Alleinunterhalterin auf kleineren Bühnen; und Brezel ist Freunden obskurer Indiemusik als Mitglied der Sigmund Freud Experience bekannt, einer fast schon legendären homerecordenden Berliner Band. Leider waren Sigmund Freud Experience nicht in der Lage, Instrumente zu spielen, sie nahmen, wie Brezel sich erinnert, „Instrumentals hintereinander auf Cassetten auf, sangen darüber Texte und machten so ganz nette Lieder. Auftreten konnten wir so nicht, und meist waren die Cassetten auch verloren, fehlten die Anschlüsse und überhaupt.“

Macht nichts, solange die Wirklichkeit selbst voranschreitet. Vor zwei Jahren lernten Brezel und Françoise sich kennen, und diese Geburtsstunde von Stereo Total als Band fiel schicksalhafterweise mit einem Aufenthalt in New Orleans zusammen. Bei Alex Chilton, der großen Songwriterlegende, logierten sie zusammen mit Tausenden von Kakerlaken im Gartenhaus. Nichts weiter. Bloß einmal die Woche fanden sie sich in einem örtlichen Club zu einem in den Staaten beliebten Open-Mike- Abend ein, „mit fürchterlichsten Liedermachern zusammen“. Françoise hatte sich zwei Trommelstöcke mitgebracht und auf selbstgebastelten Drums (Kartons!) herumgehauen, Brezel begleitete sie mit einer geborgten Gitarre, „aber nicht so einer herkömmlichen, sondern einer, die man früher im Supermarkt kaufen konnte, so aus Preßpappe, die lila-silbern angesprüht war. ,Silvertone‘ nannte man die, und ein Verstärker war da auch gleich im Koffer drin!“

Das Geheimnis des ästhetischen Wirkprinzips von Stereo Total scheint also im spontanen Akt des Auftritts als solchem begründet: Jede Küche könnte als eine Art Bühne dienen. Wenn der Rest der Band, Lesley Campbell an der Gitarre und Iznogood am Baß, mit dabei sind, muß natürlich bißchen was Größeres her – doch immer im Geiste einer bewußten Selbstbeschränkung, die, ernst genug genommen, in Freiheit umschlägt. So ist auch ihr kürzlich erschienenes Album „Ah Oh Ah“ konsequent zu Hause aufgenommen, bei Freunden – und bei Alex Chilton. Der hatte sich, sagen sie, gerade ein Schlagzeug und ein Aufnahmegerät gekauft und wollte beides ausprobieren.

Stereo Total selbst fanden „Ah Oh Ah“ beim ersten Anhören „strapaziös, da rauschte nichts vorbei, alles klang sehr synthetisch, kaputt und rauh. Wir haben nicht so was wie Virtuosität entwickelt, alles klingt in etwa so hölzern wie diese gleichförmige Orgel.“ Andererseits, und da kommt das leichte Hören wieder ins Spiel, sind Stereo Total dabei immens unterhaltsam und amüsant. Zum einen ist da die Stimme von Françoise, in Besprechungen gebetsmühlenhaft als „charmant“ beschrieben: Wenn sie deutsch singt mit diesem notorischen Akzent, kann man sich auch als von Geburt an ernsthafter und strebender Mensch kaum entziehen, muß ja auch nicht sein – es sei denn, gibt Françoise zu bedenken, „der Chirac treibt's weiter so bunt, oder man wohnt in der Hafenstraße und kennt nur noch französische Feinde“.

Ein weiterer Grund für den Erfolg von Stereo Total liegt wahrscheinlich im schonenden Recyclingverfahren ihrer Kompositionsweise. „Spielerisch“ soll ihr Umgang damit sein, „wir vergreifen uns an tausend Stilen und machen irgendwelchen Scheiß damit“, sagt Françoise, und Brezel weiß, „daß ich mich nicht einfach hinsetzen und mir was in einer bestimmten Musikrichtung ausdenken kann; mir fällt eigentlich immer schon was Fertiges ein, und außerdem: Tom Jones hat doch auch keinen Piep selbst geschrieben!“ Brezel komponiert oft mit einer Bontempi-Orgel, auf der fertige Rhythmen miteingespeichert sind, und hat darüber hinaus eine ansehnliche Sammlung mit „Incredible Strange Music“ (eine Art Supertrashvariante von Easy-Listening-Musik): So klingen die Songs vertraut, als Teil nebelhaft jugendlicher Erinnerungen und nicht ganz so „subtil geklaut“, wie ihre Erschaffer das gern hätten.

Die Verfechter des Wahren, Guten und Authentischen kommen also weniger auf ihre Kosten, wohl aber die Freunde des liebevollen Trash in diversen Spielarten. „Moviestar“ von Harpo ist mit auf der Platte (wobei Brezel eingesteht, nur die Melodie im Kopf gehabt zu haben, den Text habe er sich dann „grob zurechterinnert“), oder ein „klassischer“ Discoreißer wie „Get Down Tonight“ von K.C. And The Sunshine Band, den Françoise Brezel immer vorsummen mußte, bis er verstand: „Wir hatten die Platte leider nicht. Bei uns ist der Song ja ungemein vielschichtig und abwechslungsreich, nicht nur ein harmonieloser Gesang auf einer Note.“

„Jonny“, ein Song, den Brezel Göring singt, hört sich an wie ein modernes, sehnsüchtig-schwules Seemannslied, ist aber ebenfalls alles andere als taufrisch, sondern von Les Paul, dem furiosen Gitarristen aus den Vierzigern und Fünfzigern: „Der hat ganz futuristische Sachen gemacht, mit Zweispuraufnahmeverfahren gearbeitet, von einem Band aufs andere überspielt, die Bänder dann langsamer laufen gelassen und dazu gesungen. Der hatte Gitarren, die er superschnell und ganz hoch gespielt hat, so daß ihm keiner mehr folgen konnte, ganz verrückt. Zusammen mit Mary Ford hat der diesen Song aufgenommen.“

Neben solchen Feinheiten gibt es noch tausend andere Sachen zu entdecken, z.B. Schreibmaschinengetacker, Wäscheklammern oder französische Allgemeinplätze. Auf „C'est la mort“ (!) hat Françoise einiges von dem gesammelt, was die meisten gemeinhin an französischen Sprachkenntnissen besitzen – von comme ci, comme ça, c'est la vie, Champs Elysées bis chocolat, cocotte und dem ganzen anderen Schamott. Abgerundet wird dieser Song übrigens durch den Backgroundgesang von Ogar Grafe, „einem berühmten Kate-Bush-Imitator, der früher auch eine Band hatte, Louvre Boutique, aber wohl mehr in Schwulenkreisen bekannt ist. Sehr begabt, dieser Mensch, hat auch ein Buch geschrieben, ,Das Kräuterufo‘, halb Schwulenporno, halb Schöngeisterei.“

Jetzt sollte dieser Artikel wohl allmählich zu einem Resümee auflaufen, z.B. darüber spekulieren, ob Stereo Total angesichts der Gesamtpoplage nun „retro“ sind oder „avant“, und was das alles überhaupt soll. Fest steht: Stereo Total musizieren am Berliner wie am internationalen Popkosmos recht elegant vorbei. Sehr bewußt, wie gesagt, ist ihr Beharren auf Heimarbeit – ohne sich aber dabei abzukapseln oder zu verhärten. Und Weltschmerz ist da sowieso kein Thema.

Was soll man sagen? Modern ist ihr Umgang mit Sounds, großartig das, was an Pop dabei herauskommt. Ihre Musik ist zugleich leichtes, träges Dahinfließen und aufrüttelnder Noise, sie sind die Summe ihrer selbstgezüchteten Kleinperversionen, Stereo Total sind ... bizarr.

„Bizarr“ ist eines der Lieblingswörter von Françoise, und so wirkt die Band auch im richtigen Leben, mit ihrer Musik und den Geschichten. Fehlen müssen hier aus Platzgründen leider Anekdoten über Udo Lindenberg, über den Bruder von Alex Chilton, über die Erlebnisse auf ihren Touren, darüber, wie sie Frankfurt/Main mit Frankfurt (Oder) verwechselten oder wie Brezel in einem österreichischen Gefängnis landete. Aber davon erzählen sie vielleicht live auf der Bühne.

Tourdaten: 19.1. Enger; 20.1. Würzburg; 21.1. Ludwigsburg; 23.1. Ulm; 24.1. Augsburg; 25.1. Rosenheim; 26.1. Heidelberg; 27.1. Bietigheim; 2.2. Hannover, 3.2. Potsdam

CD über Peace 95/Semaphore; das Buch von Ogar Grafe ist im Martin Schmitz Verlag, Kassel, erschienen.