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Mitterrands großes Geheimnis, das gar keines war, soll geheim bleiben

■ Französisches Gericht verbietet ein Buch von Mitterrands Leibarzt über das Krebsleiden des toten Ex-Präsidenten

Paris (taz) – „Le grand secret“ (Das große Geheimnis) wird ein Sammlerstück. Druck und Vertrieb des Buches des einstigen Leibarztes von François Mitterrand sind gestern von einem Pariser Gericht in Paris verboten worden. Der Grund für das Urteil, das Mitterrands Witwe Danielle sowie seine drei Kinder angestrebt hatten: Die Enthüllungen verletzen die Privatsphäre des vor einer Woche gestorbenen Ex-Präsidenten.

Die ersten 40.000 Exemplare des 190-Seiten-Werkes von Doktor Claude Gubler, das Freunde und Feinde des Ex-Präsidenten als „skandalös“ bezeichnen, waren am Mittwoch wie warme Semmeln weggegangen. Der Arzt bestätigt darin – mit der textlichen Hilfe des Journalisten Michel Gonod – daß bereits im November 1981 Prostata-Krebs bei dem wenige Monate zuvor gewählten Präsidenten festgestellt wurde, und daß Mitterrand ihn verpflichtet habe, aus Staatsräson zu lügen. Von dem Krebs, der 1981 bereits Metastasen gebildet hatte und nach damaligen medizinischen Kenntnisstand eine Lebenserwartung von rund drei Jahren nahelegte, durfte Gubler nichts sagen. Mitterrand, der bei seinem Amtsantritt verfügt hatte, daß zweimal jährlich Bulletins über seine Gesundheit veröffentlicht würden, klärte seine Landsleute auch bei seiner Wiederwahl im Jahr 1988 nicht selbst auf. Er simulierte Gesundheit bis 1992, als er nach einer Operation die Gerüchte über seine Krankheit bestätigte, die schon seit 1981 in der Presse zirkulierten.

Gubler hat Mitterrand bis 1994 ein Vierteljahrhundert lang betreut. „Le grand secret“ will er geschrieben haben, um mit seiner eigenen Lüge ins reine zu kommen. Mitterrand, den Gubler zuletzt 1994 getroffen hat, wußte nichts von der geplanten Veröffentlichung. Allerdings beteuert der Arzt, daß sein Buch vor dem Tod Mitterrands auf den Markt kommen sollte. Als Mitterrand am 8. Januar starb, hatte der Verlag „Plon“ die Erstauflage bereits fertiggestellt, war angeblich willens, das Buch aus Gründen der Pietät ein paar Monate auf Lager zu halten. Doch als die Zeitschrift Paris Match – die bereits 1981 von Mitterrands Erkrankung berichtet hatte – Anfang dieser Woche mit heimlich aufgenommenen Bildern vom Totenbett des Ex-Präsidenten und einem Ausschnitt aus Gublers Buch auf den Markt kam, war die Sache entschieden.

In Paris hat die Affäre eine Diskussion über das Recht eines Präsidenten auf Intimität ausgelöst. Weil vor Mitterrand schon einmal ein schwerkranker Mann, Georges Pompidou, im Elysee-Palast gesessen hatte, ohne daß das Volk informiert war, schlagen einzelne Mediziner jetzt vor, daß künftig eine unabhängige Ärztekommission regelmäßig den Gesundheitszustand des Präsidenten untersuchen solle, um festzustellen, ob er „präsidiabel“ sei. Die meisten Politiker kritisieren das als Verletzung der Intimsphäre und weisen darauf hin, daß die französische Verfassung dem Staatsrat die Möglichkeit gibt, einen Präsidenten im Notfall abzusetzen – ob aus gesundheitlichen oder politischen Gründen, ist nicht präzisiert. Einig sind sich fast alle Politiker auch, daß Mitterrand trotz seines Krebsleidens volle Arbeit geleistet hat. Selbst Premierminister Alain Juppé, der auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht, bestätigte Mitterrand posthum, daß er bis zuletzt „intellektuell funktioniert“ habe.

Und Mitterrands Nachfolger versucht gar nicht erst, die gesundheitliche Transparenz fortzusetzen, die Mitterrand zum Eigentor geraten war. „Jacques Chirac läßt sich regelmäßig untersuchen, ihm geht es gut“, heißt es lapidar im Umfeld des neuen Präsidenten. Dorothea Hahn

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