: „Eine vollständige Heilung wird uns nicht gelingen“
taz: Was sind die Ziele der HIV-Forschung am Pette-Institut?
Hans-Georg Kräusslich: Wir betreiben Grundlagenforschung über die Vermehrung des Virus im menschlichen Zellsystem. Die Zielperspektive dabei ist, die Vermehrung der Viren einzudämmen, indem wir ihre Neubildung in verschiedenen Entwicklungsstadien stören. Eine vollständige Heilung wird uns so zwar nicht gelingen, aber ich sehe langfristig die Möglichkeit, mit einer Kombination verschiedener chemotherapeutischer Substanzen das HI-Virus etwa so in Schach zu halten, wie man heute die Zucker-Krankheit in Schach halten kann. So könnte das Leben mit dem Virus deutlich verlängert oder sogar auf Dauer möglich werden.
Welche Hinweise haben sie darauf, daß dies gelingt?
Schon heute können biochemische Therapeutika zur Lebensverlängerung HIV-infizierter Personen führen. Die ersten klinischen Tests beweisen, daß wir die Virusmenge im Körper zumindest kurzfristig stark nach unten drücken können, bevor sich die Virus-Varianten, die auf die Therapie nicht ansprechen, wieder ausbreiten. Doch ich warne vor übertriebenen Hoffnungen. Was wir heute in der Grundlagenforschung bearbeiten, kann nicht in drei Jahren als wirksames Therapeutikum auf dem Markt sein.
Wäre es nicht sinnvoller, Impfstoffe zu entwickeln statt Medikamente, die den Virus sowieso nicht ganz stoppen können?
Eine Impfung scheint nach derzeitigem Forschungsstand am ehesten mit abgeschwächten HI-Viren möglich. Aber auch eine abgeschwächte Variante integriert ihre Erbinformationen in die der Wirtszelle, so daß sie diese ihr Leben lang mit sich herumtragen. Langzeitschäden wären dabei – auch nach umfangreichen Tierversuchen – überhaupt nicht auszuschließen. Wie soll ich auf dieser Basis vertreten, zu Impfzwecken gesunde Menschen mit einem abgeschwächten HI-Virus zu infizieren?
Der Frankfurter Virologe Reinhard Kurth und der Italoamerikaner Robert Gallo wollen vor wenigen Wochen körpereigene HIV-Blocker entdeckt haben, die dem Virus Einhalt gebieten. Schon ist von einem Durchbruch in der AIDS-Forschung die Rede. Glauben sie an den Erfolg der Blocker?
Das kann man derzeit nicht eindeutig beurteilen. Wir wissen nicht, ob das, was in Zellkulturen geht, auch beim Menschen klappt. Ich glaube nicht, daß man die jetzt entdeckten Substanzen einfach in den Körper einschleusen kann und alles funktioniert. Die körpereigenen Kreisläufe sind fein austariert – wenn ich sie massiv in eine Richtung beeinflusse, sind gegenregulatorische Phänomene sehr wahrscheinlich. Zudem haben Cytokine, um die es hier geht, in der Regel hohe Nebenwirkungen. Deshalb kann man sicher noch nicht von einem Durchbruch in der AIDS-Forschung sprechen.
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