„Der war einfach wie von Sinnen“

■ PUA Polizei: Oliver Neß sagte gestern aus / Aufregung um taz-Bericht über die Unterschlagung von Aussagen / Wenig Erhellendes im Prozeß gegen Wache Kirchenallee Von Silke Mertins

chwer angeschlagen schlug Professor Ulrich Karpen (CDU) gestern um sich: Nicht nur forderte die GAL erneut seinen Rücktritt als Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Polizei wegen Befangenheit. Auch der gestern von der taz hamburg veröffentlichte Bericht, daß den Abgeordneten des Ausschusses die Aussagen von vier Polizisten, sie würden Oliver Neß kennen, vorenthalten worsen sei, machte ihm zu schaffen: „Es wurde aus dem Zusammenhang gerissen“, schnaubte Karpen, „die Zitate sind verkürzt und inhaltlich falsch.“ Er weise den Vorwurf des Manipulierens im Namen der Arbeitsstab-MitarbeiterInnen zurück.

Karpen, für den schon vor Wochen feststand, daß Neß nur „etwas zu hart angefaßt“ worden sei, wollte keineswegs als befangen gelten. „Herr Karpen hat sich in besonderer Weise neutral verhalten“, ließ er sich zum Amusement des Publikums von seinem Parteifreund Engels verteidigen. Karpen hatte auch behauptet, das Opfer einer Scheinhinrichtung, Joel Boateng, veranstalte ein Popanz, um seine Abschiebung zu verhindern.

Gespannte Stille herrschte, als Journalist und Polizeiopfer Oliver Neß die Mißhandlungen während der Haider-Kundgebung auf dem Gänsemarkt im Mai 1994 schilderte. „Heute weiß ich, daß es Dommel war“, Chef des Einsatzzuges Mitte, „der mich anschrie: ,Heute paß Du auf.'“ Der zweite Polizist in Zivil, der ihn angesprochen hatte – „Wir kennen uns ja!“ –, sei „ein Herr Voß“ gewesen, den Neß „kurze Zeit später im Gefolge von Innensenator Hackmann“ wiedererkannt hatte.

„Dann kam einer auf mich zu, holte aus, wortlos, und schlug mir mit voller Wucht mit der Faust ins Gesicht.“ Den Schläger hat Neß später anhand der Pressefotos als Andreas Vatterott wiedererkannt. Es folgten Schläge und Tritte mit Stiefeln und Schlagstöcken. „Ich stand völlig unter Schock.“ Danach habe man ihm die Arme nach hinten gedreht, so brutal, „daß ich dachte, der kugelt mir die Schultern aus.“ Er stürzte. Kaum stand Neß wieder, „merkte ich, wie sich von hinten ein Arm um meinen Hals legte und zuzog.“ Wieder ging er zu Boden. Ein Uniformierter mit Schlagstock hämmerte ihm auf den Brustkorb, mehrere Beamte knieten auf ihm. „Das waren unglaubliche Schmerzen – der war wie von Sinnen.“

Als man ihm den Fuß verdrehte, „mit unbändiger Gewalt“, gab es „einen ohrenbetäubenden Knall durch meinen ganzen Körper bis in den Kopf.“ Alle drei Bänder des rechten Sprunggelenks und die Gelenkkapsel wurden zerfetzt. „Ich schaute auf die Ferse, der Fuß war völlig verdreht, als gehöre er nicht mehr zum Körper.“

PUA-Vorsitzender Karpen, der unkonzentriert und fahrig die immer gleichen Fragen über „den Versuch, Sie festzunehmen“ stellte, wollte Neß auf einen polizeilichen Racheakt festlegen. „Ich weiß es nicht“, so Neß, „aber meine Berichte über Menschenrechtsverletzungen bei der Polizei haben mich dort nicht beliebter gemacht.“

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weiundzwanzig Polizisten, und keiner kann sich erinnern. Niemand will am 14. September 1994, am Tag nach Innensenator Werner Hackmanns Rücktritt und der Suspendierung des Polizeieinsatzzuges Mitte, die Gespräche darüber im Gedächtnis behalten haben. Keiner hat gesehen oder gehört, wie der nun angeklagte Polizist Joachim L. zu dem Kronzeugen Uwe Chrobok sagte: „Wenn das mit den Spraydosen rauskommt, müssen wir uns warm anziehen.“ Joachim L. soll einen Schwarzen in der Kirchenallee-Wache mit Insektenspray mißhandelt haben.

Der Verteidiger des Polizisten hatte gestern gleich Chroboks gesamte Klasse von der Landespolizeischule als Zeugen vor Gericht vorladen lassen, um die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen zu untergraben und nachzuweisen, daß sein Mandant Chrobok nicht begegnet ist. Chrobok selbst sagte gestern aus, er habe an diesem Tag mit Kollegen über die Vorfälle gesprochen, Joachim L. aber nicht erwähnt. „Ich wollte nicht, daß man

die Vorwürfe bestimmten Namen zuordnen kann.“ Auch seinem Vorgesetzten und der Staatsanwaltschaft hatte Chrobok den Namen zunächst verschwiegen. Erst nach langen Gesprächen mit seiner Frau, so sagte er zum Prozeßauftakt aus, habe er sich entschlossen, die ganze Wahrheit zu sagen. Ein Mitschüler der Landespolizeischule gestern zum Gericht: „Der hat schon genug mitmachen müssen.“

Die Verteidigung bezweifelt, ob Chrobok tatsächlich Spray auf der Haut des Schwarzen gesehen hat oder „Angstschweiß“. Gestern wurde dazu eine Gerichtsreporterin gehört, die in der Welt berichtet hatte, Joachim L. habe seinem Rechtsanwalt während der Hauptverhandlung mit Gesten und Worten zu verstehen gegeben, er habe sich dabei Handschuhe übergestreift. Daß die Journalistin überhaupt in den Zeugenstand gerufen wurde, bezeichnete der Verteidiger als „für einen Rechtsstaat unwürdig“. Er beantragte, die Aussage nicht zuzulassen. Der Prozeß wird nächsten Dienstag fortgesetzt.

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