: Amalgam in aller Munde
■ Giftig oder was? Das Thema Amalgam erregt noch immer die Gemüter
Die gute alte Zahnplombe – wann hat sie ausgedient? Vor über 100 Jahren wurde die brisante Mixtur zum ersten mal angerührt, und zwar mit Blei – Plumbum – daher das Wort Plombe. Die Ärzteschaft erkannte jedoch alsbald, daß Blei der Gesundheit höchst abträglich ist und eliminierte diesen Stoff noch zu Beginn des Jahrhunderts aus dem Füllungsbrei für kariöse Zähne. Was drin blieb, klingt jedoch nicht minder ungesund: Zinn, Silber und Quecksilber, meist in einem Verhältnis von 2:40:50 Gewichtsprozenten, sind bis heute die wesentlichen Zutaten des so heftig umstrittenen Amalgam (lateinisch amalgere: mischen).
Amalgam – für die einen noch immer lediglich ein kostengünstiges, haltbares und rasch zu verarbeitendes Füllungsmaterial, für die anderen Teufelszeug, das die Gesundheit ruiniert und auf keinen Fall in den Mund gehört. Das Thema ist nicht neu und dennoch überwiegen Ratlosigkeit und Verunsicherung unter PatientInnen, wenn es um die eigene „Zahnsituation“ geht. Das bekam auch der Zahnarzt und kritische Amalgam-Experte Dr. Günther Örding aus Bruchhausen/Vilsen zu spüren, als er am vergangenen Mittwoch auf Einladung des Vereins „Bremer Umwelt Beratung“ über Amalgam, seine Bestandteile, Risiken und mögliche Alternativen referierte. Auf die nicht enden wollenden Fragen aus der großen Zuhörerschaft im Ansgaritor-Saal im Bremen gab es nur wenig bequeme Antworten durch den erklärten Naturheilkundler und Amalgam-Gegner Örding. „Im Prinzip gibt es kein allgemeingültiges Rezept für alle, denn jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf die verschiedenen Stoffe und ist darüberhinaus individuell unterschiedlich belastet durch weitere schädigende Einflüsse“, ist eine seiner zentralen Erkenntnisse. Grundsätzlich aber seien die Bestandteile des Amalgam toxisch und würden den menschlichen Organismus und sein Immunsystem schädigen. „In einer Zeit, in der das Immunsystem immer zahlreicheren Streßfaktoren ausgesetzt ist, wiegt das Amalgam im Mund natürlich doppelt schwer und wird auch aus dem Grund möglicherweise heute schlechter vertragen als noch vor 50 Jahren“, erläuterte Dr. Örding, „wir stellen in unserer Praxis jedenfalls eine deutlich höhere Rate von Amalgam-Unverträglichkeit fest als es der von den Schulmedizinern durchgeführte Epicutan-Test vermuten läßt.“ Mithilfe des Epicutan-Testes, bei dem den Patienten für 24-48 Stunden eine Amalgamprobe auf der Haut fixiert wird, soll eine mögliche Amalgam-Allergie festgestellt werden: Ist die Haut anschließend gerötet oder stark gereizt, gilt eine Allergie als wahrscheinlich. Nur unter dieser Voraussetzung wird eine Zahnsanierung von den gesetzlichen Krankenkassen in vollem Umfang finanziert.
Daß der Epicutan-Test bei vergleichsweise wenigen PatientInnen positiv ausfällt, liegt nach Meinung von Dr. Örding an der unzureichenden Methode des Testes selbst. Zudem existierten keine weiteren schulmedizinisch anerkannten Nachweise chronischer Metallvergiftungen. „Wir kommen mit unseren Elektro-Akupunktur- und Bioresoanztests auf eine hundertfach höhere Rate von Amalgam-Unverträglichkeiten und liegen damit in weitaus realistischeren Bereichen.“ Diese Tests hält der engagierte Zahnarzt für dringend notwendig, denn vor jeder möglicherweise teuren und aufwendigen Gebißsanierung müsse die Frage stehen: Schadet das Amalgam überhaupt? „Ich möchte hier niemanden krank reden. Manche Leute verspüren tatsächlich keine Beschwerden durch ihre Amalgamfüllungen.“
Steht der Entschluß zu einer Zahnsanierung fest, müsse behutsam vorgegangen werden, so Örding. Die Frage der provisorischen Ersatzstoffe könne ebenso wie die der endgültigen Zahnversorgung nur individuell beantwortet werden, denn selbst Gold und Platin würden von manchen Patienten nicht vertragen. „Unabhängig vom Füllmaterial ist jedoch entscheidend wichtig, daß die alten Amalgam-Füllungen sehr langsam herausgebohrt werden, damit möglichst wenig Quecksilber verdampft“, riet Örding. Quecksilber beginnt bereits bei 30 C zu verdampfen und wird dann über die Atmung aufgenommen und zu einem hohen Prozentsatz – bis zu 80 Prozent – vom Körper resorbiert.
Sind die alten Füllungen heraurausgebohrt, werden die Löcher zunächst mit Provisorien aufgefüllt. Die sollen nun, nach Ansicht von Dr.Örding, keinesfalls metallischer Art sein, da eine erfolgreiche Ausleitung der noch im Körper vorhandenen Quecksilberdepots nahezu unmöglich machten. Die Ausleitung kann homöopathisch oder durch sogenannte DMPS-Spritzen erfolgen – bei der letzteren Methode binden Chemikalien das körpereigene Quecksilber und transportieren es über die Nieren heraus. Beide Ausleitungsverfahren sind bisher von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht anerkannt.
Bei der Entscheidung für die endgültige Zahnversorgung, ist nicht selten guter Rat teuer. Verschiedenste Goldlegierungen, Kunsstoffe, Keramik – welches Material für welchen Zahn? „Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, wenn man davon absieht, daß in der Regel alle diese Materialien dem Amalgam vorzuziehen sind“, so Örding. „Finden Sie einen Zahnarzt, der sich die Mühe macht, einzelne Stoffe an Ihnen auszutesten, nur dann liegen Sie wirklich richtig.“ Selbst teures Platin oder Kunststoffe könnten unerwünschte Körperreaktionen hervorrufen. Örding selbst verwendet seit etwa einem halben Jahr für Kronen, Inlays und Prothesen einen neuartigen Kunststoff, den Mercedes seit einigen Jahren beim Bau von Zahnrädern einsetzt: Acetal heißt das Wundermaterial, das nach Angaben von Örding bisher noch keine einzige Unverträglichkeitsreaktion hervorgerufen haben soll. Die Materialkosten sind gering, daß Procedere entspricht der Anfertigung einer Goldkrone. Noch müssen die Patienten die gesamte Behandlung aus eigener Tasche bezahlen - die Kassenärztliche Vereinigung hat Acetal als Füllstoff noch nicht anerkannt.
Bei soviel gutem Rat bleibt nur noch die Frage nach dem richtigen Zahnarzt, vielleicht das größte Problem unter den vielen, die das Thema mit sich bringt. Noch immer sind die Amalgam-Gegener unter den Zahnärzten in der Minderheit, und die Krankenkassen halten trotz einschränkenden Bestimmungen für die Verwendung von Amalgam durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte grundsätzlich an dem umstrittenen Material fest. „Nehmen Sie mich als Patientin in ihrer Praxis noch auf, oder sind Sie total überlaufen?“, war denn auch die letzte Frage des Abends, die Örding in Verlegenheit und das Publikum zum Lachen brachte.
sal
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