Gastkommentar
: Wider die Verhausschweinung

■ Plädoyer gegen die reine Kosten/Nutzen-Debatte von Wolfgang Weiss

Und wieder geht es um die bekannte Theaterfrage: „Können wir uns leisten, was wir uns leisten, obwohl wir uns nicht leisten können, es uns nicht zu leisten?!“ Bremen braucht wie Bremerhaven diese Diskussion nicht zu scheuen. Unsere Drei-Sparten-Theater stehen im Städtevergleich sehr gut da.

Bereits in früheren Zeiten haben wir erhebliche Einsparungen vorgenommen. Deshalb ist der Subventionsbeitrag von 42 Mio DM für Bremen – gemessen an den hervorragenden Leistungen – vergleichsweise niedrig und zugleich eine excellente Investition. Nicht nur zur Sicherung von 431 Arbeitsplätzen, nicht nur wegen der nachgewiesenen Umwegrentabilität z.B. über Einkäufe und Gaststättenbesuche des Publikums, nicht nur wegen der Stärkung Bremens als Oberzentrum, sondern auch wegen des Identitäts- und Imagegewinns durch das Theater. Kurz: ein wesentlicher ökonomischer Standortfaktor, wie in vielen Studien nachgewiesen wurde und zudem ein entscheidendes Argument für eine Stadt, die genau für diesen Zweck an anderer Stelle viel Geld ausgibt.

Doch so wichtig diese Fakten für das Bremer Theater sind, Theaterleute müssen sich zumindest zeitweise dieser rein materiellen Kosten/Nutzen-Debatte entziehen. Denn die Bringschuld der Künstler ist etwas höchst Unmaterielles: Nämlich uns immer wieder vor Augen zu führen, was uns fehlt, wenn wir alles haben, und so der „Verhausschweinung des Menschen“, wie es Konrad Lorenz ausdrückte, entgegenzuwirken. Alleine die Kunst hält – neben der Liebe und der Religion vielleicht – das Banner einer Wahrheit hoch, die nicht aufgeht in Zahlen und Daten. Novalis brachte dies in folgenden Versen zum Ausdruck:

„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren/ sind Schlüssel aller Kreaturen/ wenn die, so singen oder küssen/ mehr als die Tiefgelehrten wissen/ wenn sich die welt ins freie Leben/ und in die Welt wird zurückgegeben/ dann fliegt vor einem geheimen Wort/ das ganze verkehrte Wesen fort!“

Gewiß, ein romantischer Traum, aber ein lebenswichtiger Traum. Aus der Schlafforschung wissen wir, daß Menschen, die dauerhaft in ihren Träumen gestört werden, ihre Gesundheit verlieren, krank und kränker werden. Im Unterschied zu Wissenschaft und Politik macht die Kunst mit ihren Träumen aus der Not der großen Ratlosigkeit nicht die Tugend einer immer präziseren Teilerkenntnis. Statt dessen hält sie das Bewußtsein wach, daß der Mensch ein sinnbedürftiges Wesen ist.

Und so wird im Theater, diesem grundgesetzlich garantierten Kunstfreiraum, gespielt, ausprobiert, erinnert, hervorgezwungen und bewahrt. Man hält uns einen Spiegel vor, entäußert sich und produziert jene unvergleichliche Live-Spannung zwischen Provokation und Kontemplation, Intellekt und Gefühl, Diskurs und Genuß. In diesem Sinne wirkt unser Theater mit unverminderter Kraft wider die psychische Verelendung in unserer Gesellschaft, wider die immer massiver werdende kulturelle Verarmung,wenn Schauspieler, Musiker, Tänzer und Dramaturgen aktiv sind in Schulen, Kleinkunstprojekten, Musik- und Literaturunterricht, Kammerkonzerten und Lesungen.

Ich bewundere all die Künstlerinnen und Künstler, die für wenig Lohn das kulturelle Klima ihrer Stadt zum Nutzen aller prägen! Als Politiker müssen wir in unseren Forderungen und unserem Handeln oft andere Akzente setzen. Aber wir brauchen Kunst und Kultur und hier insbesondere das Theater, um nicht den Blick für's Ganze aus den Augen zu verlieren.