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Gesucht wird der ballastfreie Akademiker

Zwischen Studienabschluß und erster Festanstellung liegen im Schnitt sieben Jahre. Davor halten sich die meisten Absolventen mit Werkverträgen über Wasser. Viele Jobs hätten früher noch nicht als Akademikerstellen gegolten  ■ Von Ulrike Schulz

„Nachdem ich mein Diplom gemacht habe, habe ich erst mal über zwei Jahre rumgejobbt“, erzählt Christine Bornhöft. „Mit meinem Abschluß hatten die Jobs nichts zu tun. Da ging es nur ums Geldverdienen“, so die 29jährige Ökotrophologin. Inzwischen hat sie eine Festanstellung als Pharmareferentin gefunden, die ihrer Qualifikation entspricht und mit der sie zufrieden ist. Daß zwischen Studienabschluß und einer unbefristeten Anstellung mehrere Jahre vergehen, ist keine Seltenheit. Zwar stellt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) bei der Auswertung der Arbeitsmarktdaten von 1994 fest: „Akademiker konnten mit zwei Prozent einen spürbaren Anstieg ihrer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verzeichnen.“ Gleichzeitig räumt ein Sprecher der BA jedoch ein, daß es keine Angaben darüber gibt, wie viele Akademiker auf Stellen landen, für die sie überqualifiziert sind.

„Die Zahl der Akademiker ist so drastisch angestiegen, daß dazu übergegangen wird, die Leute nach dem Studium auf das handfeste Arbeiten auf der gehobenen Sachbearbeiterebene vorzubereiten. Das sind Tätigkeiten, die man früher nicht als Akademikerstellen angesehen hat“, so Joachim Jahny, Arbeitsvermittler für Fach- und Führungspersonal beim Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Auch Dieter Grühn, Soziologe an der Freien Universität Berlin, bestätigt: „Der Prozentsatz von Akademikern, die eine hochdotierte Stelle bekommen, hat sich verringert.“

Die Chancen haben sich verbessert

Für Grühn, der bereits in den achtziger Jahren eine der ersten Verbleibstudien durchgeführt hat, ist diese Tendenz die logische Folge aus der sozialliberalen Bildungspolitik der siebziger Jahre. Dennoch hält er Negativmeldungen für verfehlt. „Sämtliche Untersuchungen belegen, daß die Arbeitsmarktchancen besser sind, als es allgemein dargestellt wird“, so Grühn. Negativschlagzeilen über Arbeitslosigkeit von Akademikern seien mitverantwortlich für lange Studienzeiten. „Die Studenten werden dadurch verunsichert“, meint Grühn, der es für eine wichtige Aufgabe der Universitäten hält, dieser Tendenz durch bessere Informationen und gezieltes Bewerbungstraining entgegenzuwirken.

Während Studienabgänger in den siebziger Jahren überwiegend im öffentlichen Dienst eine Anstellung fanden, ist inzwischen der Anteil der Selbständigen erheblich gestiegen. „Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Alternativsektor zu. In Reisebüros, Versicherungsagenturen und Dienstleistungsunternehmen entstehen neue Beschäftigungsmöglichkeiten“, so der Soziologe. Eine weitere Veränderung sieht Grühn in der verlängerten Berufseinstiegsphase. Während sie in den siebziger Jahren drei Jahre betrug, dauert es heute ungefähr sieben Jahre, bis Studienabgänger eine qualifizierte Festanstellung finden.

So greifen Unternehmen, bevor sie einen unbefristeten Vertrag abschließen, immer häufiger auf die Möglichkeit von Werkverträgen zurück. Der Vorteil für die Arbeitgeber liegt auf der Hand: Nachwuchskräfte können ohne den Ballast einer Festeinstellung und ohne Sozialabgaben getestet werden. „Im Bereich der sozialen Versorgung waren Honorarverträge geradezu klassisch. Inzwischen vergeben aber auch Wirtschaftsunternehmen im Bereich von Forschung und Entwicklung immer mehr Werkaufträge für Naturwissenschaftler und Ingenieure“, meint Arbeitsvermittler Jahny.

Für die Arbeitnehmer sind solche Verträge eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits fehlt jegliche soziale Absicherung, andererseits bieten Werkverträge die Chance, sich fachlich weiterzuqualifizieren und Pluspunkte für den Lebenslauf zu sammeln. Außerdem böten Werkverträge die Möglichkeit des schrittweisen Einstiegs in ein Unternehmen, so Jahny.

Wer auf diese Strategie setzt, sollte sich das Unternehmen allerdings gezielt aussuchen: „Auch über Werkverträge ist eine Festanstellung wegen des generellen Einstellungsstopps nicht möglich“, lautet die Auskunft bei Schering.

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