Bauernopfer der Nationalisten

Mit Sack und Pack verlassen die bosnischen Serben die Vororte der Hauptstadt. Die serbischen Behörden stellen Wohnungen bereit  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Politik habe ihn eigentlich noch nie interessiert, sagt Dragan und deutet – nicht ohne Stolz – auf den nahe gelegenen Hügel, der den serbisch besetzten Vorort Vogosca von der Hauptstadt Sarajevo trennt. Dort oben liegt sein Haus. Er hat es in den siebziger Jahren mit seinen eigenen Händen gebaut. Und es hat sogar den Krieg unbeschadet überstanden. „Drei Wohnungen sind drin, vor dem Krieg besaß ich zwei Autos, meine Schreinerei lief ganz gut.“

Jetzt hat sich Dragan entschlossen, sein Haus und seine Heimat zu verlassen. Seine Familie ist schon in die Nähe von Bijeljina in der „Serbischen Republik“ übergesiedelt. Die Wohnung war ihm von den Behörden angeboten worden.

„Wir wollen nicht unter dem Kommando der Muslime leben“, sagt er. Und er überprüft noch einmal die Seile, die seine Habe auf dem Dach seines Zastava-Autos zusammenhält. Benzin hatte er sich am Vortage in der benachbarten, von Kroaten beherrschten Stadt Kiseljak geholt. Wenn die Region gemäß dem Dayton-Abkommen in spätestens 14 Tagen unter die Kontrolle der bosnischen Regierung fällt, ist Dragan weg.

Wie Dragan halten es auch alle seine Nachbarn. Auch ihnen wurde Wohnraum in der serbisch kontrollierten Zone Bosniens zur Verfügung gestellt. Die eigenen Behörden forderten die Bewohner auf, den Evakuierungsplan einzuhalten. Die Menschen packen ihre Habseligkeiten und die Wohnungseinrichtungen auf Lastwagen. Manchmal ist auch die Einrichtung jener muslimischen und kroatischen Wohnungen dabei, die von Serben 1992 okkupiert wurden. „Sie nehmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist“, bestätigt eine humanitäre Helferin.

Vor dem ehemaligen Werk der Autofirma Volkswagen in Vogosca sind Posten der Miliz aufgezogen. Doch die schweren Lastwagen, die aus den Hallen der ehemaligen Fabrik kommen, lassen darauf schließen, daß hier der noch intakte Maschinenpark in die serbische Zone „verlagert wird“.

In Kampfanzügen und unter dem Schutz von Panzern sind italienische Ifor-Soldaten nach Vogosca eingerückt. Sie schauen dem Treiben zu. Als eine Horde Kinder vorüberrennt, freut sich ein Offizier. „Das kann doch heißen, daß wenigstens einige Familien bleiben.“ Mehrere serbische Militärfahrzeuge donnern die Straße entlang. „Die meisten Stellungen in der entmilitarisierten Zwei-Kilometer-Zone sind schon geräumt“, erklärt er. Doch 50 schwere Waffen sind immer noch dort. „Hoffentlich werden die bis heute abend weggeschafft. Wenn nicht, gibt es morgen Ärger.“ Bis gestern 24 Uhr mußten alle schweren Waffen abgezogen sein.

Die Straßen nach Sarajevo sind frei befahrbar. Es gibt keine Kontrollen mehr, Fahrzeuge der Ifor fahren Patrouille. Zu Zwischenfällen kam es nach den Entführungen von Bürgern Sarajevos Ende Dezember und Anfang Januar nicht mehr. Die serbische Bevölkerung fügt sich, so scheint es, in ihr Schicksal.

Auch in Sarajevo selbst ist das Bedauern über den Auszug der Serben abgeklungen. „Was gibt es da noch viel zu sagen. Wenn die nicht mit uns leben wollen, dann eben nicht. Wir versuchten, unsere Hand zu reichen, sie haben nicht eingeschlagen.“ Für Ekrem, einen Filmemacher, der die letzten dreieinhalb Jahre den Krieg zu dokumentieren suchte, stellt der Exodus aus Sarajevo einen letzten Höhepunkt in der Propagandaschlacht der serbischen Nationalisten dar. Mehr als daß die Serben bleiben könnten, daß sie alle Sicherheiten für ihre Person und ihren Besitz genössen, hätte die bosnische Regierung nicht versprechen können. „Aber Sonderrechten für die Serben zuzustimmen, das geht nicht.“ Es handele sich bei dem Abzug um ein „Bauernopfer der serbischen Nationalisten“.

In Zukunft würden die serbischen Behörden in der serbisch kontrollierten Zone Bosnien-Herzegowinas alles daransetzen, die Rückkehr der von ihnen vertriebenen muslimischen und kroatischen Bevölkerung auf ihrem Territorium zu verhindern. „Der Exodus der Serben aus der Region Sarajevo wird ihnen dann als Argument dienen, dies zu rechtfertigen. Es ist ein gigantischer Versuch, die Politik der ethnischen Säuberungen fortzusetzen.“