: Fakten sprechen für Lauschangriff
■ Der neue Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig zum Großen Lauschangriff, zu Sitzblockaden und zur Reform des Strafrechts
taz: Herr Schmidt-Jortzig, viele sehen in Ihnen einen profilierten Wissenschaftler, aber einen unbedarften Politiker. Trifft Sie das?
Schmidt-Jortzig: Unbedarft höchstens im Sinne von ohne viel Erfahrung. Aber wenn man dieses Bonn ein wenig erlebt hat und weiß, wie unter dieser Käseglocke auch Gerüchte entstehen und sich fern der Realität entwickeln, halte ich das auch für einen Vorteil. Etwas Distanz und eigene Kritikfähigkeit finde ich da viel besser, als zu sehr eingebunden zu sein. Aber ich bringe für die neue Aufgabe sicher eine Menge gute Eigenschaften mit.
Welche?
Unter anderem Distanz, Eigenständigkeit und keine Berührungsängste vor Hierachien oder Themen.
Sie haben Ihren Wandel vom Gegner des Großen Lauschangriffs zum Befürworter mit der BKA-Studie begründet. In dem Papier steht aber kaum Neues.
Es geht gar nicht darum, ob die Zahlen in diesem BKA-Bericht sonderlich beeindruckend sind, sondern darum, daß in der polizeilichen Kriminalstatistik und in diesem BKA-Bericht vom Sommer 1995 erstmals klare Fakten stehen. Bislang waren die Zahlen nur Vermutungen oder Hochrechnungen. Ich kann einfach nicht – und das werde ich auch künftig nicht tun – meine Hand zu Grundrechtseingriffen heben, wenn nicht die Notwendigkeit dazu mit harten Tatsachen belegt ist.
Welche Fakten belegen die Notwendigkeit des Lauschangriffs?
Die, daß das organisierte Verbrechen wirklich die Relevanz hat, die man bisher nur vermutete. Daß es in der Tat ethnisch sich abkapselnde Gruppen mit eigenen Strukturen gibt, die systematisch bestimmte, spezialisierte Verbrechen begehen. Da können auch verdeckte Ermittler nicht helfen.
Das ist der einzige Grund?
Nein. Für mich kommt hinzu, daß der Bundesgerichtshof am 7. Juni 1995 die bisher geltende Regelung, daß Lauschangriffe nur für die Prävention von Verbrechen genutzt werden dürfen, nicht aber für die Strafverfolgung, aufgehoben hat. So daß ohnehin das Neue, das möglicherweise jetzt kommt, auf kleinste Größen reduziert ist. Denn überall da, wo die Landesrechte den Großen Lauschangriff schon vorsehen, ist mit dem Gerichtsurteil diese Einschränkung weggefallen.
Bei der Mitgliederentscheidung hat die FDP klare Kriterien festgelegt. Die werden Sie bei den Verhandlungen mit der Union so nicht durchsetzen können. Welchen Sinn macht dann ein so ausformulierter Mitgliederentscheid?
Der legt unsere Position als FDP fest.
Aber es geht doch um ganz grundsätzliche Fragen. Die FPD will, daß drei Richter über einen Großen Lauschangriff entscheiden, die CDU will nur einen Richter oder eventuell sogar nur einen Staatsanwalt.
Nicht machbar ist für mich, daß ein Polizeipräsident oder Staatsanwalt entscheidet.
Würden Sie auch das Überwachen von Wohnungen per Videokameras billigen?
Bisher ist der Bedarf dafür bei mir nur als fromme Wünsche ohne konkrete Aussagen über weiterreichende Erkenntnisse angekommen. Solange etwa das BKA keine kritisch-durchhaltenden Fakten und Szenarien vorlegt, kann ich darüber nur müde lächeln.
Wieso lehnen Sie als Befürworter des Großen Lauschangriffs die Vermögensbeschlagnahme, die die SPD vorschlägt, ab? Denn auch die soll ja helfen, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen.
Soweit ich die SPD-Vorstellungen verstanden habe – da wiederholt sich ja vieles, was schon im Gesetz steht –, ist das einzig Neue die Beweislastumkehr. Und damit wird ja nicht „nur“ in ein Grundrecht reingefunkt, sondern es wird auch die Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt – ein Essential der Rechtsstaatlichkeit. Das ist beim Lauschangriff nicht der Fall.
Sie haben jüngst für einige Verwirrung in Fragen des Asylrechts gesorgt. Wofür sind Sie jetzt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Änderung verlangt?
Damals wie heute gilt, daß – wenn Karlsruhe etwas verlangt – entweder die Rückkehr zum alten Verfassungsungsartikel 16 oder die Einführung einer institutionellen Garantie in Betracht kommt. Aber ich bin mir auch nach allen Signalen, die ich bisher bekommen habe, sicher, daß Karlsruhe an dem Artikel 16a, also der Drittstaatenregelung, nicht herumdoktern wird. Und das ist sicherlich das beste.
Was sind Ihre vordringlichsten Aufgaben?
Ich habe da vier Gebiete: Zunächst die Dinge, die schon auf dem Weg, aber ins Stocken geraten sind; z.B. die Kindschaftsrechtsreform. Das zweite ist die Effektivierung der Justiz. Dabei setze ich auch auf eine stärkere Kooperation mit den Bundesländern, weil vieles in deren Zuständigkeit liegt.
Weitere Schwerpunkte?
Das Dritte ist die Vereinheitlichung der Strafrahmen. Das Strafrecht muß reformiert werden. Man muß prüfen, ob es stimmt, daß Verbrechen gegen das Vermögen, zum Beispiel Diebstahl, besonders hart bestraft werden im Vergleich zu Angriffen auf Leib und Leben, etwa Körperverletzung. Viertens will ich mich für die Rechtsvereinheitlichung im europäischen Raum einsetzen.
Was ist mit Projekten, bei denen Ihre Vorgängerin auf Widerstand stieß, zum Beispiel die rechtliche Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften oder die Vergewaltigung in der Ehe?
Diese Themen haben für mich nicht erste Priorität, werden aber weiterverfolgt.
Wie wollen Sie Gelüsten der Union entgegentreten, die beispielsweise auf eine gesetzliche Neuregelung zur Bestrafung von Sitzblockaden drängt?
Auch da kann ich nur sagen, schlichte Wünsche allein reichen nicht, es müssen Belege für die Notwendigkeit beigebracht werden.
Wie ist Ihre Prognose angesichts der desolaten Lage der FDP, bleiben Sie bis zum Ende der Legislaturperiode Bundesjustizminister?
So plane ich. Ich sehe nicht, daß die März-Wahlen, wie immer sie ausgehen, die Koalition unmittelbar betreffen müssen. Wenn alle Beteiligten die Nerven bewahren, ist das kein Thema. Denn es gibt inhaltlich gar keine Alternative. Interview: Karin Nink
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