piwik no script img

Demnächst schulbuchtauglich?

■ Kammerspiele: Wer ist Max Goldt? Fragen anläßlich einer Lesung

Zunächst, etwas ungewöhnlich, eine Kritik des Publikums. Die Kammerspiele waren nämlich am Freitag ausverkauft, als Max Goldt dort las, und außerordentlich bunt und jung besetzt – was an diesem Ort leider nicht alle Tage vorkommt. Der studierte Titanic-Abonnent traf auf die zukünftige Kulturschnepfe; die Streetfighterin aus gutem Hause mit grün lackierten Fingernägeln saß neben diesen notorisch verklemmten männlichen Erstsemester-Dreiergruppen. Und sie alle hatten ihren Spaß, lachten und erklatschten sich zwei Zugaben. Rundum Zufriedenheit. Es ist schon erstaunlich, wer sich mittlerweile alles auf Max Goldt einigen kann.

Nun könnte man diesen Erfolg aber natürlich auch als Krisensignal darlegen. Everybody's darling is to be everybody's Depp, wie bekanntlich schon Franz Josef Strauß sagte. Sind Max Goldts Texte etwa demnächst schulbuchtauglich? Max Goldt – irgendwie goldtig, aber auch harmlos?

Im Lichte der Lesung in den Kammerspielen sind das unfaire Fragen. Denn zum einen machte Goldt alles richtig. Was besagen will, er biederte sich dem Publikum nicht an, sondern blieb freundlich-distanziert – auch beim Applaus. Und er versuchte sich keineswegs darin, durch übermäßig brillanten Vortrag blenden zu wollen, sondern las seine Texte routiniert-gekonnt – nicht mehr, nicht weniger. Zum anderen schlagen seine Texte stellenweise so helle Funken, daß sie jeden Erfolg verdienen (und die banalen Stellen dazwischen möchte man ihm auch noch gutschreiben: als ökonomischen Einsatz der Mittel und Themen).

Zu den Fragen, die die Texte wirklich stellen: Ist Max Goldt ein Menschenverachter, der sich hinter Freundlichkeit verschanzt? Oder ist er im Gegenteil ein im Grunde zutiefst toleranter Zeitgenosse, den die Verhältnisse der Welt nur zu mancher Bosheit zwingen? Oder ist er ein unbeteiligter Weiser, eine Art Buddha der Großstadt, der sich mit den Merkwürdigkeiten dieser Welt seine Privatspäßchen macht? Antwort: eher egal. Denn man lacht bei Goldt nicht unbedingt darüber, was er schreibt. Man lacht bei ihm öfter über das Wie des Was (nebenbei bemerkt eine zwar schlichte, aber nicht ganz unbrauchbare Beschreibung des Vorgangs der Kunstrezeption).

Goldts Verfahren: In dem, was er berichtet, ist er unbedingt ein Bewohner der aktuellen WG-Pop-Ikea-Aldi-Welt, in der wir alle leben; in dem, wie er davon berichtet, aber gräbt er nach anderen Wurzeln. Seine Beobachtungen breitet Goldt in einer seltsam gefeilten Sprache aus, mit akkuraten, aber den banalen Anlässen unangemessenen Wendungen, mit geziemenden, aber an den Haaren herbeigezogenen Übergängen. Eine genaue und gelegentlich ins Anarchische abdriftende Wahrnehmungsfähigkeit trifft auf eine durch und durch ordentliche Schreibtechnik. Ein hübscher Kontrast.

Daß er zu einem gelungenen Wochenendeinstieg taugt, ist eine vielleicht nicht unbedingt neue oder gar weltbewegende, aber doch immer wieder mitteilenswerte Erkenntnis, die die freitagliche Lesung bereithielt. Dafür kann man auch schon mal dankbar sein.

Dirk Knipphals

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen