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Von schäbigen Menschlein in Ganzkörperkondomen

■ Zombies, Yuppies, Saufereien: „Pixy“, eine zeitgenössische Apokalypse des schwedischen Comiczeichners Max Andersson

Ein abgetriebener Fötus ruft seine Mutter besoffen aus dem Reich der Toten an, um sich von ihr Dostojewski vorlesen zu lassen: „Ich möchte die Stelle mit der Axt noch mal hören.“ Im Comic-Album „Pixy“ reiht der schwedische Autor Max Andersson solange Geschmacklosigkeiten aneinander, bis auch dem letzten klar wird, daß Geschmack eine reaktionäre und sehr einschnürende Kategorie ist.

„Pixy“ spielt in einer apokalyptischen, total verworrenen und heruntergekommenen Welt, in der die Lebenden sich um ein Visum für das Reich der Toten bewerben. Bewohnt wird die Welt der Lebenden von verarmten, fertigen Lebenden und von ewig grinsenden, gentechnisch erzeugten Recycle- Yuppies. Im Reich der Toten besaufen sich die Föten, kaufen Waffen, trinken Giftmüll und spielen ihren Aufpassern übel mit, frei nach der rührigen Anarcho-Parole der frühen Ton-Steine-Scherben: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Doch anders als US-amerikanische Endzeitutopien verzichtet Andersson auf plumpe Pointen (z. B. den Hundefutter fressende Mad Max). Statt dessen benutzt er groteske Bilder, um gegen den Irrsinn einer normierten Welt anzuerzählen. Wer hat schon die Erschießung von Häusern gesehen, die „graffitiverseucht“ waren?

Anderssons Bildwelt sprüht über von makabren Einfällen wie Motorrädern aus Gerippen und Mutanten, die wie Käfer auf dem Rücken mit abstehenden Beinen sterben. Und selten waren Bilder von „schönen“ Yuppies mit solch inbrünstigem Haß gezeichnet.

Wer die Geschichten von Andersson aus Strapazin oder dem Comic Journal kennt, mag das kaum glauben. Andersson scheint lange Geschichten zu brauchen, in einem Interview das für das Album mit abgedruckt wurde, bezieht er sich direkt auf die europäische Erzähltradition in der Folge Hergés. Die erste Seite von „Pixy“ ist so brillant wie nur wenige Seiten des belgischen Meisters. Zwei Bodybuilderfiguren beim Koitus. Alles scheint in Ordnung, doch plötzlich erscheinen Deformationen. Schließlich platzt etwas und im letzten Panel kriechen zwei schäbige Menschen aus einem „Ganzkörperkondom“ hervor.

Es gibt kein richtiges Leben. Oder doch? Zumindest als Wunsch? „Die Wunschmaschinen“, so formulierte es der verstorbene Philosoph Gilles Deleuze, „stören fortwährend ihren Funktionsablauf und funktionieren nur als gestörte.“ So funktioniert Anderssons Comic. Dort erschafft er eine hingekotzte Welt, in der Christ und Antichrist offenbar im Vollsuff ihren Auftritt vergessen haben. Andersson hat also Humor. Einen schwarzen. Martin Zeyn

Max Andersson: „Pixy“. Jochen Enterprises, Berlin 1995, 29,80 DM

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