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Die Wut

Eine Antwort auf Peter Handkes Artikel „Gerechtigkeit für Serbien“ in der „Süddeutschen Zeitung“  ■ Von Marcel Ophuls

Peter Handke nimmt in „Gerechtigkeit für Serbien“ Radovan Karadžić gegen die Medienklischees in Schutz. Er beklagt sich, daß ständig Karadžić' Gedichte erwähnt und daß sie immer wieder als „mittelmäßig“ bezeichnet würden, daß sein Psychiaterberuf nur genannt werde, um ihm Verrücktheit zu unterstellen, und daß er stets in ironischer Weise bei seinem Doktortitel gerufen werde.

Wie hätte Peter Handke ihn denn angeredet?

Auch ich habe Karadžić immer nur „Doktor“ genannt, als ich ihn für meinen Film über die Journalisten in Sarajevo interviewte, und ich habe ihn auch ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht. Nicht wegen des Klischees, alle Psychiater seien verrückt, sondern weil ich ihn sonst „Herr Präsident“ hätte nennen müssen – von einer nicht existierenden Republik.

Peter Handke attackiert die Presse. Le Monde sei unter Wahrung des „seriös-distinguierten Anscheins“ von früher eine Zeitung von Nestbeschmutzern und Pinschern geworden. Er liefert als Beweis die respektlose Art, wie man dort mit Mitterrand umging. Und mit Kusturicas „Underground“, der Handkes verwandte Künstlerseele so „(fast) ergriff“. Skandalös!

Und Florence Hartmann, eine der besten und qualifiziertesten Jugoslawienexpertinnen der Welt, zieht er ebenfalls durch den Dreck. Warum? Weil sie vom großen Demokraten Milošević hinausgeschmissen wurde? Und was ist mit meinem guten Freund Rémy Ourdan, ein Mann, der zwei Jahre lang (für das französische RTL-Radio) zwischen den Fronten in einem alten (ungepanzerten) Auto herumspazierte, bevor er fabelhafte Berichte für Le Monde schrieb? Was würde da Handke, samt seinem serbischen Übersetzer, die hochliterarische Nase rümpfen, wenn er nur wüßte, daß Rémy jahrelang für RTL im Verkehrsbeobachtungshubschrauber saß, bevor es ihm zu blöd wurde und er sich 1992 (als es am gefährlichsten war) freiwillig nach Sarajevo versetzen ließ?

Derselbe Rémy Ourdan wurde von der bosnischen Regierung zehn Wochen lang auf Eis gelegt und von bosnischen Milizen bedroht, weil er es gewagt hatte, einen ausführlichen Bericht über den wachsenden Einfluß der Mullahs zu veröffentlichen, die verruchte Mischehen verbieten und Serben aus der Armee hinausschmeißen wollten. Und dieser Text war nicht „impressionistisch- lyrisch“, der hatte Namen und Daten! Solchen Leuten will der bleiche Literat ihren Beruf beibringen? Na, viel Spaß.

Le Monde ein „Schnüffelblatt“? Natürlich! Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Engagement der Zeitung auf seiten der Opfer ethnischer Säuberung und dem von ihr so wenig geschonten Mitterrand. Er heißt: Mitterrand-Bousquet1, „Rainbow Warrior“, verseuchtes Blut. Dreckige Geschäfte, nichts für Dichter und Denker.

Ja, und was ist mit diesen gräßlichen Mediennutten, die da weinende Frauen hinter Stacheldraht filmen?

Penny Marshall ist auch eine Freundin geworden. Sie ist blond, zart und zierlich, arbeitet ab und zu für ITN und Reuter und hat die weltberühmten Aufnahmen des serbischen KZs an die Öffentlichkeit gebracht. Sie verdient sehr wenig Geld. Als ich sie traf und sie mir ihre Geschichte erzählte, saß sie in einer kleinen Londoner Küche. Während wir filmten, lag ihr kleines Baby neben der Spülmaschine (Ja, ja, Herr Handke: Das hatte ich so gestellt, beruhigen Sie sich!). Sie erzählte uns ihre zähen Verhandlungen mit KZ-Wärtern, die jetzt in Den Haag auf der Anklagebank sitzen. Man sieht die lebensgefährlichen „Verhandlungen“ – Handke würde sicher unterstellen, daß sie manipuliert sind – in langen Sequenzen, die sie gedreht hatte, bevor sie zum Stacheldraht gelangte. Sie liegen alle noch in meinem Schneideraum für den dritten Teil meines Films – den mir das „Centre national de la Cinématographie“ unter der Direktion des Mitterrandisten Dominique Wallon im Gegensatz zu Kusturicas Feuer- und-Flammen-Kitsch niemals subventionieren wollte.

Dann gibt es noch Tony Birtley, der allein für ABC-News mit Morillon in Srebrenica war, sechs Wochen lang dort im Schnee hungerte und fror und schließlich von den Serben schwer verwundet wurde. Auch fürs deutsche Fernsehen berichteten mutige Journalisten. Ich kenne sie nur weniger, weil ihnen die deutschen Anstalten meistens nicht die Mittel gaben, im Holiday Inn zu wohnen.

Und was ist mit dem Pulitzer- Preisträger John Burns, dem ganz großen, ganz fabelhaften Burns, der von der New York Times schließlich gegen seinen Willen nach zweieinhalb Jahren nach Delhi versetzt wurden – vielleicht weil Handke und seine Freunde im Elyséepalast seinen Chefs zugeflüstert hatten, er sei zu parteiisch geworden? Auch er nannte Karadžić nur „Herr Doktor“.

Vor vier Jahren lag er im Mount-Sinai-Krankenhaus in New York und sollte an Krebs sterben. Als seine Frau ihn zum ersten Mal zur Redaktion der Times brachte, konnte er nicht allein durch den Redaktionssaal laufen. In Sarajevo forderte er monatelang auf Pressekonferenzen den Abwurf von Hilfsgütern über Goražde. Als es endlich passierte, lief er ganz allein Hunderte Kilometer durch den tiefen Schnee, um darüber zu berichten.

Qui dit mieux:

Ach ja, doch, es geht noch besser in Richtung Bildungsroman, Herr Handke.

Kurt Schork ist Bürochef von Reuter in Sarajevo, seit fast vier Jahren. Er ist der hochrespektierte Doyen des Holiday Inns gewesen. Als eine Mutter ihren von serbischen Snipers ermordeten Sohn beerdigte, schoß ein anderer „Freischütze“ auf sie. Sie fiel. Die Fotografen und Kameraleute arbeiteten weiter. Das ist ihr Job! Nur mein Freund Kurt, behauptete mein Freund Paul Marchand, später ebenfalls schwer verwundet, eilte unter Feuer zu der Frau und brachte sie in Sicherheit. Als mir Paul das bei Kerzenlicht in der Kantine des Holiday Inns erzählte, rückte ich mit der Kamera langsam den Tisch hinunter, bis zu Kurt. „Kurt“, fragte ich, „is that story true? Were you the only one to help that woman?“ „No, of course not!“ sagte er, „we all did our best.“

Zurück in Paris ließ ich mir die Aufnahmen von der BBC kommen. Paul hatte recht. Kurt war der einzige!

Ja, da gibt es noch viele gefilmte Geschichten. Sie liegen in meinem Schneideraum, während Kusturica sich im brutalen Narzißmus und unrasiert im Smoking badet, und die Süddeutsche Zeitung zwei ganze Nummern dem Poeten zur Verfügung stellt. Naja, man weiß es ja: Das Publikum interessiert sich nicht für Bosnien. Manchmal drängt sich bei mir die Frage auf: Für was interessieren sich diese Arschlöcher eigentlich?

Plötzlich, vielleicht ohne Zusammenhang, denke ich wieder an

Fortsetzung Seite 16

Fortsetzung

Deutschland in der Nachkriegszeit. Bei Ilse Kubachewski in München und bei ihren Freunden in Wien gab es „Grün ist die Heide“ und „Sissi“ und Axel Springers Gebot „Seid nett zueinander!“ Bei der Defa gab es damals „Die Mörder sind unter uns“, „Der Untertan“ und vor allen Dingen (auf Sarajevo bezogen) „Ehe im Schatten“.

Ich war nie ein großer Freund der Defa, aber ich bin Produkt einer „Mischehe“ und selbst mit einer Deutschen verheiratet ...2 Ich glaube, die Defa hatte recht. Und die Ähnlichkeit zwischen dem blassen Poeten und der „Heile- Welt“-Fabrikantin Kubachewski fällt mir plötzlich ganz besonders auf.

Zurück zum Poeten: Das Infamste an der langen Handke-Meditation ist selbstverständlich mal wieder die ekelerregende Unterstellung, die Bosnier hätten an der Bäckerei und am Marktplatz ihre eigenen Leute ermordet. Meine Freunde bei Oslobodenje, der Tageszeitung von Sarajevo, haben da einen guten Witz. Sie sagen: „Warum müssen es immer mehr als zehn Tote sein, bevor wir auf uns selber schießen!“3

Auch François Mitterrand war überzeugt, daß dieses Massaker eine bosnische Provokation war (siehe Laure Adler in „L'année des adieux“). Das sind eben die uns allen Kulturmenschen so wertvollen „Wahlverwandtschaften“4. Mitterrand, der große Schirmherr des politischen Opportunismus wird so oder so recht behalten: Die Mitläufer bleiben immer die Sieger. Und da unser „regretté président“ wie immer so recht hatte, erlaube ich mir zum Schluß eine Weltuntergangsphantasie à la Kusturica:

In zwei Jahren werden Peter Handke und Emir Kusturica zusammen „Underground“ in Sarajevo präsentieren, wiederum unrasiert und im Smoking. Nur von einem diskreten Polizeiaufgebot gegen Friedensstörer geschützt. Sie werden auch in moderner Fassbinder-Manier, also mürrisch, einige Fragen aus dem Publikum beantworten.

Dann werden sie sich mit Karadžić und seiner Tochter vor dem Kino fotografieren lassen und darauf achten, daß niemand ihn „Herr Doktor“ nennt (Wozu gibt es eine Polizei?). Unter der Begleitung der Paparazzi geht's dann ins Holiday Inn, wo sie in den frisch renovierten Zimmern von John Burns und Paul Marchand übernachten. Denn nicht nur in München, Paris oder Cannes gibt es Snobs, Poeten und Mitläufer, sondern natürlich auch in Sarajevo!

PS: Handke scheint es zu belustigen, daß Jean Hatzfeld von der Libération vorher Sportreporter war. Wie würde er erst lachen, wenn er wüßte, daß Kurt Schork bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr Beamter der New York Port Authority war.

Und was qualifiziert Handke dazu, Seiten und Seiten von Zeitungsdruck in Anspruch zu nehmen, ganz ohne Risiko, in einer Sache, in der vierzig Journalisten ihr Leben verloren haben?

1 René Bousquet, 1909 geboren, am 8. Juni 1993 umgebracht, kurz vor seinem Prozeß für Verbrechen gegen Menschlichkeit. Es wurde ihm vorgeworfen, als Chef der Vichy- Polizei Tausende von jüdischen Kindern, Mitbürgern und „Staatenlosen“ an die Gestapo ausgeliefert zu haben. François Mitterrand war seit 1943 mit Bousquet befreundet. Er gab im letzten Jahr seiner Amtszeit wiederholt in Interviews zu, Bousquet vor der französischen Justiz als Staatschef geschützt zu haben. Die Redaktion von „Le Monde“ warf ihm das als „ketzerisch“ vor, darunter in erster Linie der Nestbeschmutzer Edwy Plenel und der Verfasser dieser Schrift. Daraufhin kündigte der Elyséepalast seine hundert Abonnements dieser Zeitung. Und nun kommt Handke und verteidigt den gestorbenen Präsidenten gegen diese „Hunde“.

2 An diesem Punkt faxte mein Lektor aus Paris, Thierry Chervel, der den Text in der Nacht stark kürzen und umändern mußte, nach Gstaad zurück: „Verstehe ich nicht ganz? Was hat die ,Mischehe‘ damit zu tun? Thierry.“ Heute morgen telefonierten wir noch kurz miteinander: „Vielleicht sollten Oskar Lafontaine, die Max-Ophüls-Preisveranstalter und Sie euch psychoanalysieren lassen“, meinte ich, wohl etwas streng und immer noch wütend. „Mein Vater war Jude und Franzose. Er war kein deutscher Staatsbürger mehr. Sie wissen ja, warum. Warum vergessen das auch seine Verehrer in Deutschland so leicht?“

Während meine Großonkels nach Auschwitz verschleppt wurden, stritten sich mein Vater und Fritz Kortner in Hollywood mit Bert Brecht, weil die arischen Eltern meiner Mutter die alliierten Bomben in Braunschweig auf den Deckel bekamen. Kortner und Ophüls fanden das nicht richtig! Gibt es eine bessere Definition für das „Produkt einer Mischehe“, und kann man sich da wundern, daß französische Juden wie Alain Finkielkraut [ein sehr viel bedeutenderer Schriftsteller als mancher andere] und ich eine andere Auffassung von deutsch-französischer Freundschaft, von „Siegermächten“ und dem Nürnberger Prinzip, von „Kriegshetzerei“ und der Anwendung der Gänsefüßchen bei dem Wort Aggressoren haben als François Mitterrand und Peter Handke, ganz zu schweigen von Emir Kusturica und seiner blöden Blasmusik?

Wer „kriecht wem in den Arsch“? Die Journalisten und die kriegshetzerischen Juden, von Elie Wiesel bis Marek Edelman und Roman Polanski, die jahrelang für die Intervention gegen die ethnischen Säuberungen plädierten, gegen die Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung, gegen den Willen des Elyséepalastes, gegen Pentagon und Weißes Haus. Oder der deutsche Dichter, der dem Stammtischleser im Münchner Beisel mal wieder eine Riesenfreude bereitet, indem er diesen Judge Goldstone in Den Haag von vornherein als befangen erklärt? Man kann die deutsch- französische Freundschaft auf verschiedene Arten feiern: in Verdun, über den Umweg von Vichy-Kumpeleien, oder so wie es mein Vater wollte und es mein Freund Alain Finkielkraut noch heute probiert.

3 „Brave men are funny“, behauptet irgendwann in meinem Film die großartige alte Martha Gellhorn, die Freundin von Robert Capa und die Witwe Hemingways. Sie war in Madrid und bei der Landung in der Normandie dabei, auch irgend so eine „Frontmieze“. Emir Kusturica samt Blasmusik und Sexorgien und sein österreichischer Dichterfreund strengen sich sehr an. Aber es gelingt ihnen nicht: Sie sind weder „very brave“ noch „very funny“.

4 War nicht auch Peter Handke derjenige, der gegen seinen verstorbenen Kollegen und Landsmann Thomas Bernhard auf die Barrikaden stieg, weil der große österreichische Dramaturg angeblich seine Mitbürger in seinem Testament diffamierte? Nun ja, Nestbeschmutzer gibt es halt überall, nicht nur unter französischen Juden und Journalisten.

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