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Ganze Städte abschotten

■ Niedersachsens SPD will Polizeigesetz verschärfen: Präventives Aufenthaltsverbot für potentielle Straftäter

Hannover (taz) – Die in Niedersachsen regierenden Sozialdemokraten haben jetzt die Konsequenz aus den Übergriffen der Polizei gegen Jugendliche bei den Chaostagen in Hannover gezogen. Was Richter bisher als illegalen Eingriff in die Grundrechte der Punker eingestuft hatten, soll künftig durch das niedersächsische Polizeigesetz erlaubt werden: Ein bundesweit einmaliges Aufenthaltsverbot, das es der Polizei gestattet, ganze Städte gegen unliebsame Personen abzuschotten, sieht ein Entwurf der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion zur Änderung des niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes vor. An den hannoverschen Chaostagen im August letzten Jahres hatte die Polizei zahlreichen Punks noch ohne Rechtsgrundlage die Einreise nach Hannover verweigert.

Nach dem SPD-Gesetzentwurf soll die Polizei bereits präventiv, ohne daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört ist, stadtweite Aufenthaltsverbote verhängen dürfen. „Zur Verhütung von Straftaten können die Verwaltungsbehörden und die Polizei einer Person den Aufenthalt in einem Gemeindegebiet oder Gebietsteil untersagen“, heißt es in der Neufassung des Gefahrenabwehrgesetzes. Dieses Stadtverbot kann dabei jeden treffen, in dem die Polizei einen potentiellen Straftäter zu sehen glaubt: Für das Aufenthaltsverbot müssen nur „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese Person eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird“.

„Niedersachsen macht sich damit zum Vorreiter in der Beschränkung des Versammlungsrechts“, kritisierte jetzt die Grünen-Landtagsabgeordnete Silke Stokar diesen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit. Die Polizei werde im Zweifelsfall schon die bloße Anwesenheit von Jugendlichen oder auch Atomkraftgegnern als Beitrag zur Begehung von Straftaten werten. Die SPD überschreite mit dem Entwurf die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen. „So weit ist nicht einmal Bayern gegangen“, erklärte die Grünen-Abgeordnete nach Durchsicht aller bundesdeutschen Polizeigesetze.

Einen massiven Eingriff in Grundrechte sehen die Grünen auch in der Verlängerung der Höchstdauer des Polizeigewahrsams, die der Entwurf der SPD- Fraktion vorsieht. Diese Polizeihaft, die Störungen der öffentlichen Sicherheit unterbinden soll, durfte bisher in Niedersachsen höchstens 48 Stunden dauern. Die Sozialdemokraten wollen die Vorbeugehaft nun vier Tage lang gestatten und auch die Bestimmung streichen, wonach binnen acht Stunden ein Richter über die Fortdauer des Polizeigewahrsams zu entscheiden hat.

Ausweiten will die SPD nebenbei auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel durch die Polizei. Schon in der nächsten Landtagssitzung im Februar will die SPD ihren Entwurf in das Parlament einbringen. Schließlich soll im Sommer, wenn wahrscheinlich erneut Chaostage in Hannover anstehen, bereits ein schärferes Gefahrenabwehrgesetz gelten. Jürgen Voges

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