: In der morgigen „Kanzlerrunde“ in Bonn diskutieren fünfzehn mächtige Männer über ein „Bündnis für Arbeit“. Verzichten sollen vielbeschäftigte ArbeitnehmerInnen, Vorruheständler, Arbeitslose und vielleicht auch bald alle Verbraucher Von Barbara Dribbusch
Auf der Suche nach der verlorenen Arbeit
Die Bilder gab's schon mal: dunkle Limousinen fahren vor, ältere Herren steigen aus und eilen zum Spitzengespräch über die Zukunft der Arbeit in Deutschland. Damals, im Januar 1995, ging es beim „Zukunftsgipfel“ mit dem Kanzler vor allem um die Teilzeitarbeit. Weniger Arbeit für mehr Leute, so wurde damals gefragt, könnte das eine Lösung sein? Sie war es nicht. Morgen, fast genau ein Jahr später, werden sich fünfzehn Herren wiederum über einen Beschäftigungspakt unterhalten. Im Brennpunkt diesmal: die Umschichtung von Überstunden, mehr Ausbildungsplätze und die Zukunft der Sozialleistungen und Lohnnebenkosten.
„Ab irgendeiner Grenze muß diese Kanzlerrunde ein griffiges Ergebnis bekommen“, sagt ÖTV- Sprecher Thomas Wunder. Die Grenze ist erreicht, spätestens seit Verkündung der letzten Arbeitslosenzahlen, die seit Jahresfrist erneut gestiegen sind. Das setzt die Teilnehmer der Kanzlerrunde unter Druck. Es sind die Chefs der Arbeitgeberdachverbände, Stihl (DIHT), Murmann (BDA), Späth (ZDH) und Henkel (BDI). Sie treffen auf DGB-Chef Schulte, den ÖTV-Vorsitzenden Mai, DAG- Chef Issen, Zwickel von der IG Metall und Schmoldt von der IG Chemie. Ihre politischen Interessen melden an die Minister Blüm, Rexrodt, Rüttgers und Waigel. Kanzler Kohl, assistiert von Kanzleramtsminister Bohl, wird der Männerrunde vorstehen.
Ein Maximalbündnis mit verbindlicher Zusage einer bestimmten Zahl neuer Jobs wird dabei nicht herauskommen. IG-Metall- Chef Klaus Zwickel hatte für seine Branche eine solche konkrete Forderung nach jährlich 110.000 neuen Stellen aufgestellt. Aber selbst bei den Bündnis-Verhandlungen von Gesamtmetall und Gewerkschaften am vergangenen Donnerstag spielte diese Forderung schon keine entscheidende Rolle mehr. Die IG Metall und Gesamtmetall rückten bei ihrem Treffen vielmehr den Streit um die Überstunden in den Vordergrund. Und hier wird es auch in der „Kanzlerrunde“ wahrscheinlich einen Minimalkonsens geben: Überstunden sollen möglichst nicht mehr bezahlt, sondern durch Freizeit ausgeglichen werden, um Platz für Neueinstellungen zu schaffen. Schluß mit der „Überstundenklopperei“, fordert auch Arbeitsminister Norbert Blüm.
DGB-Vormann Schulte kommt auf ein Plus von 800.000 neuen Jobs, wenn man den Überstundenberg in Deutschland wenigstens zur Hälfte in Neueinstellungen umwandelte.
In den Bündnisgesprächen der Metallbranche haben sich die Arbeitgeber immerhin schon bereit erklärt, über einen Kompromiß zur Überstundenfrage zu verhandeln. Danach wäre eine Vereinbarung denkbar, nach der Mehrarbeit beispielsweise ab der sechsten, achten oder zehnten Stunde im Monat in Freizeit ausgeglichen werden muß, wenn der Beschäftigte, beziehungsweise die Betriebsräte dies wollen. Was keineswegs immer der Fall ist. Denn mit dem Überstundenabgleich über Arbeitszeitkonten verzichten die Vielbeschäftigten auf ihr Zusatzeinkommen. Das stößt nicht überall in den Betrieben auf Begeisterung.
Einigen sich die Tarifpartner in der Metallbranche, wäre eine Bresche geschlagen für den Überstundenabbau auch in anderen Branchen. Die Unternehmer wollen dafür aber noch eine Gegenleistung: Der Abschluß von befristeten Verträgen soll erleichtert werden. Die Metall-Tarifpartner haben sich daher indirekt für eine Änderung des Beschäftigungsförderungsgesetzes ausgesprochen, um befristete Einstellungen zu fördern. Befristete Verträge sollen bis zu einer Dauer von zwei Jahren möglich sein. Auch eine zweite befristete Anstellung beim gleichen Arbeitgeber unmittelbar danach soll ermöglicht werden. DGB-Chef Schulte hat den Abschluß befristeter Verträge schon als notwendige Zwischenlösung gelobt. Minister Blüm: „Zweimal befristet Arbeit ist besser als keinmal Arbeit.“
Bisher ist es laut Beschäftigungsförderungsgesetz nicht erlaubt, eine ArbeitnehmerIn kurz oder unmittelbar nach Auslaufen einer befristeten Anstellung erneut befristet zu beschäftigen. (Ausschluß von „Kettenverträgen“). Außerdem liegt die Höchstdauer einer Befristung bei 18 Monaten.
Der erleichterte Abschluß von „Kettenverträgen“ gehört zum sozialen „Umbau“, der nach den Regierungsplänen Arbeit billiger machen und so mehr Beschäftigung bringen soll. Nach Informationen von Spiegel und Welt am Sonntag plant Kanzler Kohl jetzt einen größeren Wurf. Nach Plänen seiner Wirtschaftsberater sollen die Sozialversicherungsbeiträge von bald 41 Prozent wieder auf 39 Prozent gesenkt werden. Das erfordert Opfer. Zum Beispiel von den Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen: Die Kürzungspläne zur Sozial- und Arbeitslosenhilfe werden wohl kaum zurückgenommen werden, lassen Kohls Wirtschaftsberater verlauten. Sie denken auch ernsthaft über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nach. Das wiederum träfe vor allem die Verbraucher.
Das naheliegendste Problem der Sozialkassen aber ist der Vorruhestand, wichtiges Thema der morgigen Kanzlerrunde. Blüm möchte ältere Arbeitnehmer via Teilzeit und Teilrente in einen Ruhestand mit verringerter Rente schicken. Wer auf eine halbe Altersteilzeit-Stelle wechselt, soll dabei 60 Prozent seines Einkommens bekommen. „Zu wenig“, befinden die Gewerkschaften. Sie wollen eine Aufstockung des Altersteilzeit-Einkommens auf 80 bis 90 Prozent des vorhergegangenen Verdienstes.
Auch beim Vorruhestand geht es um Umverteilung. Wird das Problem nicht im Sinne der älteren, kündigungsgeschützten ArbeitnehmerInnen geregelt, „werden im Zweifelsfall eben die Jüngeren bei Rationalisierungen zuerst rausgeschmissen“, befürchtet ein Gewerkschafter. Die Jugendarbeitslosigkeit stiege an.
Um wenigstens ein paar Pluspunkte in Sachen Beschäftigung zu sammeln, wird die Bundesregierung voraussichtlich ihr neues Existenzgründungs-Förderprogramm auflegen. Geplant ist eine „Gründer-Offensive“ schon seit mehr als einem halben Jahr, doch jetzt ist der Zeitpunkt günstig, die Mittelstandsförderung als Teil eines „Bündnisses für Arbeit“ zu verkaufen. High-Tech-Firmen sollen finanziell gefördert, junge Unternehmen leichter an die Börse gehen können.
So schwerfällig die Herren- Riege in Bonn in die Gänge kommen wird, so schnell laufen neue Modelle in den Betrieben an. Wenn ganz konkret Not am Job ist. Der Beschäftigungssicherungsvertrag bei VW vom Spätherbst 1993, der unlängst verlängert wurde, ist dafür das beste Beispiel. Seitdem gilt bei VW die 28-Stunden- Woche.
Auch Tausende von Kita-ErzieherInnen im Osten wechselten inzwischen gezwungenermaßen auf Teilzeit, weil sonst viele von ihnen hätten gehen müssen. Öffnungsklauseln im Ost-Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes erlauben die Reduzierung von Arbeitszeit, wenn die Beschäftigten im Gegenzug dann einen Kündigungsschutz erhalten. Die Einkommensverluste werden dabei nur zum Teil ausgeglichen.
In Sachen Überstunden sind einige Betriebe auch schon vorgeprescht. Um Arbeitsplätze zu sichern, richtete der Maschinenbauer Babcock-Borsig in Berlin Zeitkonten ein, die jetzt bei guter Auftragslage sogar zu Neueinstellungen führen. „Bündnisse für Arbeit“ sind keine Utopien. Es gibt sie schon. Als pragmatische Kompromisse vor Ort.
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