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Justiz ohne Gnade

■ Wie eine Demo gegen Sozialabbau für einen Bremer im Brandenburger Knast endete

Was einst als friedliche Protestaktion gegen Bonner Sparpläne begann, hat für den Bremer Sozialaktivisten Jens Schröter ein bitterböses Ende gefunden: Am 7. Januar wurde er an der deutsch-polnischen Grenze festgenommen und in der Justizvollzugsanstalt „Schwarze Pumpe“ im brandenburgischen Spremberg inhaftiert. Jens Schröter, der zwei Tage nach seiner Haftentlassung am 20. Januar noch sichtlich unter Schock stand, befand sich nach eigenen Angaben auf der Rückreise von einem weihnachtlichen Verwandtenbesuch in Polen, als der lange Arm der Justiz zuschlug und ihm zwei unvergeßliche Wochen in einem der berüchtigsten Knäste der ehemaligen DDR bescherte.

Der Hintergrund: Jens Schröter ist Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeteinitiativen (BAG) und im Landesvorstand des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bremen. Am 11. März 1993 hatte er sich mit sieben weiteren MitstreiterInnen vor dem Bonner Kanzleramt zu einer Protestaktion getroffen. Motto: „Zukunft der Armen – Straßenfeger der Nation“. Während im Bundeskanzleramt Helmut Kohl und die Ministerpräsidenten der Länder über den Solidarpakt verhandelten, warfen die acht DemonstantInnen, als Straßenfeger verkleidet, Flugblätter zu Boden, um sie gleich darauf wieder zusammenzufegen. Das knapp zwanzigminütige Happening in der Bonner Bannmeile führte zu der erwarteten Strafanzeige gegen die Mitglieder der Selbsthilfegruppe „Robin Soz“, wie sich die ProtestlerInnen nannten. „Wir wollten mit greenpeace-ähnlichen Methoden auf die soziale Dimension des Solidarpaktes aufmerksam machen, daher haben wir bewußt den Verstoß gegen das Bannmeilengesetz in Kauf genommen“, erklärte Jens Schröter gestern. „Die Demonstration selbst war absolut friedlich und hat niemandem Schaden zugefügt.“

Ebenso bewußt und in Absprache mit der BAG entschloß sich Jens Schröter, das im September 1993 verhängte Strafgeld in Höhe von 15 Tagessätzen a 30 Mark nicht zu zahlen, sondern eine Ersatzfreiheitsstrafe anzutreten: „Ich wollte so den Protest gegen die Bonner Sozialpolitik fortsetzen und bin davon ausgegangen, meine Haftstrafe in einer Bremer Vollzugsanstalt absitzen zu können“, so der Vater zweier erwachsener Kinder.

Aber es kam ganz anders. Erst zwei Jahre später, im Oktober 1995, erließ die Bonner Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Jens Schröter, das Urteil: 15tägige Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bremen-Blockland. Zusatz des Bremer Polizeipräsidiums: Die Strafe werde bis zum zum 19. Januar 1996 ausgesetzt, bis dahin habe Schröter noch die Gelegenheit, das Strafgeld in Höhe von 450 Mark zu zahlen.

Nicht ahnend, daß er trotz der Strafaussetzung im bundesweiten Fahndungscomputer steckte, passierte Schröter im Dezember 1995 noch mehrfach unbehelligt die deutsch-polnische Grenze – bis zum 7. Januar, als ihn die Polizei kassierte und in die „Schwarze Pumpe“ expedierte.

Was dann folgte, wurde für Jens Schröter zu einem Trauma. Als seiner Forderung, in die JVA Bremen-Blockland verlegt zu werden, nicht nachgegeben wurde, trat er in einen Hungerstreik. Die Haftleitung reagierte prompt und stellte auch gleich die Versorgung mit Getränken ein. Schröter erlitt ein akutes Nierenversagen und wurde für zwei Tage in ein Krankenhaus verlegt. Danach ging es nicht wie erhofft nach Bremen, sondern zurück in die JVA „Schwarze Pumpe“, in der laut Schröter „unbeschreibbare Zustände“ herrschten. „Es tut mir leid, viel mehr kann ich zur Zeit dazu nicht sagen“, erklärte Schröter gestern unter Tränen. „Die „Schwarze Pumpe“ ist eine menschenunwürdige Kloake...“ Nur durch massiven Druck von außen – ununterbrochen seien Faxe, Proteste und Besuchsanträge eingegangen - sei das Leben in der zweiten Haftwoche etwas erträglicher für ihn geworden.

„Das war ein völlig unnötiger menschlicher Übergriff durch die Justiz“, empörte sich gestern Vorstandsmitglied des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Jürgen Blandow vor der Presse. „Wir stehen wie alle, die sich hier in Bremen sozial engagieren, voll hinter Jens Schröter und protestieren auf das Schärfste gegen dieses Vorgehen.“ Aus einem Sozialskandal – der ständigen Kürzung elementarer Sozialleistungen – sei nun auch noch ein Justizskandal geworden.

sal

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