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Dies ist keine Wasserpfeife

Ohne Kontext, doch ästhetisch vollkommen: Das Völkerkundemuseum in Zürich zeigt „Afrikanische Kunst aus der Sammlung Han Coray“  ■ Von Manfred Schiefer

Das vergangene Jahr bot soviel afrikanische Kunst wie nie zuvor. Nach dem britischen Kunstereignis „Africa 95“, der Ausstellung „Meisterwerke afrikanischer Kunst“ in Zug, der großartigen Ausstellung über die Dogon im Museum Rietberg und schließlich der Wiener Schau „Afrikanische Stühle“ zeigt nun das Züricher Völkerkundemuseum in seiner Ausstellung „Afrikanische Kunst aus der Sammlung Han Coray“ rund 200 Kunstwerke aus West- und Zentralafrika.

„Afrika hat immer wieder Konjunktur, wir kennen dieses zyklisch aufflackernde Interesse am Leben und an der Kunst dieses Kontinents“, meint Lorenz Homberger vom Züricher Museum Rietberg. Nichts Neues also in den Schausälen der Museen? Doch, denn die Art der Präsentation und Rezeption wurde umdefiniert: Die Zukunft im Umgang mit den Kulturschätzen liegt nun in der Rückwendung zu vergangenen Positionen. Wie die Monsterschau in der Royal Academy, „Africa – The Art of a Continent“, beschränkt sich auch das Völkerkundemuseum mit seiner Ausstellung auf die Präsentation als reines Kunstobjekt. Ethnologische Gesichtspunkte werden ebenso ignoriert wie die historischen Grundlagen.

Kann man afrikanische Plastiken losgelöst von jeglichem sozio- kulturellen Kontext als Kunstwerke präsentieren? Man kann. Fehlt dann aber etwas? Es fehlt. Doch afrikanische Kunst kann noch unter der wieder in Mode gekommenen eingeschränkten Betrachtungsweise ein Ereignis sein. Und auch die Geschichte der Sammlung Han Coray könnte eine derartige Präsentation rechtfertigen. Han Coray, der seine insgesamt rund 2.400 Objekte zählende Sammlung von 1916 bis 1928 aufgebaut hat, war selbst nie in Afrika. Trotzdem war er einer der ersten und wichtigsten Sammler afrikanischer Kunst in Europa. Den überwiegenden Teil der Exponate erwarb er vom Pariser Kunsthändler Paul Guillaume, vor allem unter ästhetischen Gesichtspunkten. Diese hat ihm wohl der Verkäufer eingeflüstert, wie die verblüffende Übereinstimmung der beiden Geschmäcker nahelegt. In einem 1931 erschienenen Aufsatz distanzierte sich Han Coray von seiner ursprünglichen Auffassung, daß es sich bei seiner Sammlung afrikanischer Objekte um Kunst und nichts als Kunst handele. Da eine afrikanische Maske oder Skulptur „immer zweckdienlich und kontextbezogen“ sei, versah er sie mit der (recht zutreffenden) Bezeichnung „Kulturwerk“.

In den 60er Jahren soll er, einem unveröffentlicht gebliebenen Text zufolge, jedoch zu seiner ursprünglichen Ansicht zurückgekehrt sein. Da gehörte ihm die Sammlung längst nicht mehr. Nach dem Selbstmord seiner Frau Dorrie Stoop, mit deren Geld er die Sammlung aufbauen konnte, wurde sie Anfang der dreißiger Jahre von seiner Bank gepfändet und 1940 an das Völkerkundemuseum verkauft. Dieses behielt nur die rund 500 „besten und repräsentativsten Stücke“, der große Rest, durchweg hochwertige Doubletten, wurde mit anderen Schweizer Museen getauscht oder an interessierte Privatiers verkauft.

Han Coray, dem an der größtmöglichen Vollständigkeit gelegen war, sammelte (fast) alles, und das gleich in Serien. Neben Plastiken oder Masken finden sich auch Gebrauchsgegenstände, Löffel, Webrollenhalter, Musikinstrumente, Waffen, Schalen und Schatullen. Aus den nach der Verkaufs- und Tauschaktion verbliebenen Exponaten wurden für die derzeitige Ausstellung rund 200 Exemplare ausgewählt und in vier Gruppen präsentiert: Figuralplastiken, Masken, Einzelstücke und eine bunte Sammlung verschiedener Objekte.

Trotz der gewählten Zuordnung zu einzelnen Gruppen geraten schon im Raum mit den Figuralplastiken die unterschiedlichsten Gegenstände durcheinander. Wasserpfeifen, Fliegenwedel oder Becher zieren die Aufreihung kleiner Skulpturen ebenso wie eine kongolesische Sanza, das bei vielen afrikanischen Völkern verwendete Daumenklavier. Warum aber ist eine Haarnadel mit anthropomorphem Kopf dagegen ebensowenig Skulptur wie der majestätische Zeremonialstab, der im „Allerlei- Raum“ präsentiert wird? Und sind die Karyatidenhocker, die bei afrikanischen Völkern wie den Lube oder den Songye der Oberschicht vorbehaltene Status- und Machtsymbole waren, bloß Sitzgelegenheiten? Sind sie nicht doch wegen ihrer durchweg beeindruckenden figuralen Darstellungen als Skulpturen zu werten? Wie verfährt man bei den nicht minder raffinierten, aber profanen Kopfstützen?

Die Ausstellung verzichtet auf solche Fragen. Statt dessen hat man das Künstler-Duo Peter Fischli und David Weiss, das die Schweiz bei der letzten Biennale in Venedig vertrat, die ganze Schau sehr zurückhaltend gestalten lassen. Die Objekte wirken unmittelbar, ohne jede künstliche Dramatisierung, denn auf die akzentuierende Interpretation durch Spots wurde verzichtet. Die Objekte sprechen für sich selbst; außer ihrer ästhetischen Vollkommenheit verraten sie kaum etwas.

Anders als die Londoner Afrika-Ausstellung gibt die Ausstellung im Züricher Völkerkundemuseum nicht vor, die Kunst eines ganzen Kontinents zu präsentieren. Auch wenn Han Coray bestrebt war, mit seiner Sammlung der „gesamten altafrikanischen Kunst“ ein „Ehrenmal“ zu setzen, handelt es sich „nur“ um eine Auswahl von Exponaten, die ein begeisterter Sammler zusammengetragen hat. Daher muß bei einer solchen Zusammenstellung, deren Kontext sich aus der Tätigkeit eines Individuums ergibt, wohl auch weder die historische Dimension hinterfragt werden (denn was für uns wegen der über eine Vielzahl von Epochen tradiert gebliebenen Form alt erscheint, stammt oft aus diesem Jahrhundert), noch muß begründet werden, warum Objekte wichtiger Völker fehlen (Plastiken des Sudan oder aus Ostafrika waren auf dem damaligen Markt eben nicht zu erhalten).

Jedwede Auseinandersetzung mit der Kunst und Kultur Afrikas ist, das darf nicht vergessen werden, großteils vom Zeitgeist abhängig. Die Wertschätzung afrikanischer Kunstwerke durch Künstler wie Picasso oder Vlaminck um die Jahrhundertwende reichte als Legitimation für die ästhetische Achtung und Beachtung und ermöglichte auch die Betrachtung der Kunstwerke unabhängig von den afrikanischen Traditionen. Aber als sich die Krise des Primitivismus in der Pariser Avantgarde anbahnte, suchte auch Coray ein neues Fundament und entwickelte den Gedanken des „Kulturwerks“ als tragfähigen Sinn für seine Afrika-Sammlung.

Eine maßgebliche gegenwärtige Strömung der Kunstbetrachtung favorisiert den Standpunkt der Selbstreferentialität oder auch die Ideen einer L'art pour l'art. Dem Verständnis für afrikanische Kultur ist diese ausschnittweise Betrachtung im Spiegel der eigenen Produktion wohl nur wenig dienlich.

„Afrikanische Kunst aus der Sammlung Han Coray“, bis 2. Juni 1996 im Völkerkundemuseum der Universität Zürich; anschließend vom 22. Juni bis 1. September 1996 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden.

Die Londoner Ausstellung „Africa – The Art of a Continent“ wird vom 18. Juni bis 22. September 1996 im Guggenheim Museum, New York, zu sehen sein.

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