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Betr.: Weber gegen BKA

Anfang der 70er Jahre geriet Gaby Weber ins Visier des Verfassungsschutzes, Anfang der 80er Jahre gab der seine Informationen an Interviewpartner der Journalistin weiter, seitdem kämpft sie um Akteneinsicht  ■ Von Otto Diederichs

Wann Gabriele Weber zum erstenmal in den Blick der Sicherheitsbehörden geriet, läßt sich nur grob sagen: Es muß irgendwann zu Beginn der 70er Jahre gewesen sein, als die damals Jugendliche Mitglied der Roten Hilfe Bonn war, einer jener undogmatischen Gruppen jener Zeit, die sich der Gefangenenbetreuung widmeten. „Knastgruppen“ standen seinerzeit bei Verfassungsschutz und bei Polizeilichem Staatsschutz hoch im Kurs, da man sie pauschal der Unterstützung des Terrorismus verdächtigte, und der stand mit der Roten Armee Fraktion (RAF) und den Anfängen der Bewegung 2. Juni bei den Sicherheitsbehörden ganz oben. Also wahrscheinlich war es das. Wenn aber nicht, so beginnt die Geschichte mit Sicherheit am 18. Oktober 1974. An diesem Tag wurde Jürgen Bodeux, der spätere Kronzeuge im sogenannten Schmücker- Prozeß, aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit zur Vernehmung gebracht. In diesem längsten Strafprozeß der Bundesrepublik, der von Justizskandalen nur so wimmelte, ging es um die Verwicklungen der Sicherheitsbehörden in den Fememord an dem V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes, Ulrich Schmücker. Bei seiner Vernehmung gab Bodeux, dessen Rolle in diesem Mordfall, wie so vieles andere auch, nie völlig geklärt werden konnte, folgendes zu Protokoll: „Anfang März 1974 [...] brach ich meine Lehre in Köln ab und zog nach Bonn [...] zu Gaby Weber, die ich aus der ,Roten Hilfe‘ Bonn kannte.“ Spätestens jetzt also geriet Weber ins Visier der Behörden.

Sechs Jahre später, im August 1980, hatte sie, nun Journalistin, sich mit Fragen des Strafvollzugs, der Inneren Sicherheit und des internationalen Drogenhandels längst einen Namen gemacht. Vereinbart war damals ein Gespräch mit dem damaligen Senatsdirektor in der Berliner Justizverwaltung, Alexander von Stahl. Das Gespräch führte zwar nicht zum gewünschten Erfolg, einer Interviewerlaubnis mit der Redaktion der Knastzeitung Blitzlicht, jedoch zu aufschlußreichen Erkenntnissen. Um sein Veto zu begründen, las von Stahl, später glückloser Generalbundesanwalt, der Verdutzten aus einem V-Mann-Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) von 1976 vor. Danach soll sie im Mai 1976 während einer Veranstaltung in der Mensa der Bonner Universität gesagt haben: „Den Wärterinnen im Knast würde ich alles zutrauen, auch daß sie in die Zelle kommen und einen aufhängen. Deshalb weiß ich, daß Ulrike Meinhof ermordet worden ist.“ Das Foul-Spiel von Stahls hatte Folgen: Gaby Weber forderte das BfV auf, ihr Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu geben. Da sich das Amt jedoch „aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage“ sah, diesem Ersuchen nachzukommen, reichte ihr Anwalt im Januar 1981 Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein. Es sollte die erste in einem unterdessen 15jährigen Unterfangen werden.

Anfang 1982, ein gutes Jahr nach dieser Klage, wurde der Grundstein für eine weitere Auseinandersetzung mit den Sicherheitsbehörden gelegt. Der Beginn hätte kaum harmloser sein können: Wie viele Hunderte andere Berliner erbat Gaby Weber mittels einer Postkarte aus dem offiziellen „Datenschutzscheckheft“ des Berliner Datenschutzbeauftragten beim Berliner Polizeipräsidenten Auskunft darüber, welche personenbezogenen Daten man in den dortigen kriminalpolizeilichen Sammlungen über sie gespeichert habe. Am 5. Mai lehnte die Polizei die Auskunft ab. Daraufhin ließ Weber durch ihren Anwalt auch in diesem Fall eine Klage einreichen.

1984, im Orwell-Jahr, folgte eine dritte Klage, diesmal gegen das Bundeskriminalamt (BKA), das sich ebenfalls geweigert hatte, verlangte Auskünfte zu erteilen.

Nun ja, mögen gesetzestreue BürgerInnen (und das sind wir schließlich alle) an dieser Stelle einwenden, Prozeßhanselei! Doch Weber hatte allen Grund, sich mit der Bockbeinigkeit der Behörden nicht zufriedenzugeben. Der engagierten Journalistin waren auch vor den Äußerungen des Herrn von Stahl in der Vergangenheit mehrfach Behinderungen ihrer Arbeit aufgefallen. In der Summe ließen sie letztlich nur den Schluß zu, daß hinter den Kulissen an Fäden gezogen wurde, die in Polizeidateien ihren Anfang nehmen mußten: So teilten ihr zum Beispiel gelegentlich einige ihrer Auftraggeber mit, das Bundeskriminalamt habe sich nach ihr erkundigt. Dann und wann informierte sie auch einer ihrer Gesprächspartner darüber, daß nach ihrem Besuch kurze Zeit später das BKA vor der Tür gestanden habe, um sich nach den Inhalten und Umstände der Interviews zu erkundigen.

Doch halt, wir greifen vor. Also der Reihe nach, denn auch die gemeinhin eher dröge Materie von Verwaltungsstreitverfahren kann grelle Lichter werfen und somit erhellend wirken. Während in den Verfahren gegen das BfV und die Berliner Polizei noch weitgehend Stillstand herrscht (in beiden Fällen ist seit nunmehr rund sechs Jahren eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig), kam in der Sache „Weber gegen BKA“ 1993, neun Jahre nach der Klageerhebung, überraschend Bewegung auf. Mit Datum vom 8. 2. 93 teilte der Datenschutzbeauftragte des BKA Webers Anwalt mit: „In den Dateien des Bundeskriminalamtes sind über Ihre Mandantin keine kriminalpolizeilichen Erkenntnisse gespeichert. Allerdings ist aus früherer Zeit noch eine Akte vorhanden, aufgrund deren personenbezogene Daten im geringstmöglichen Umfang (Familienname, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Aktenzeichen) über ihre Mandantin in der Datei ,Vorgangsnachweis Personen (VNP)‘ erfaßt sind; diese Datei dient dem BKA lediglich zum Auffinden von Vorgängen administrativer Art. Übermittlungen aus der Datei ,VNP‘ an Dritte finden nicht statt.“ Damit sah das BKA seiner auferlegten Auskunftspflicht Genüge getan und erklärte zeitgleich gegenüber dem zuständigen Hessischen Verwaltungsgerichtshof: „Einer etwaigen Erledigungserklärung der Klägerin wird seitens des Bundeskriminalamtes zugestimmt.“ Dies allerdings war verfrüht, denn nichts war erledigt, und so konzentrierte sich in den folgenden zwei Jahren die Auseinandersetzung auf die VNP-Akte, die nach Lesart des BKA als nicht „auskunftsfähig“ galt.

Anfang 1995 wechselte dann beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof die Zuständigkeit. Der neue Vorsitzende Richter Haensel sah die strittige VNP-Akte endlich als das an, was sie nach Bekunden des BKA offenkundig war, als einen Verwaltungsvorgang, in den grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht besteht, und forderte die Überstellung an das Gericht. „Das Verfahren, dessen Bearbeitung der Senat zu Anfang des Jahres übernommen hat, ist das mit Abstand älteste im Senat. Mir ist daher daran gelegen, es nach der ganz ungewöhnlich langen Bearbeitungsdauer unverzüglich zum Abschluß zu bringen. Daher bitte ich um beschleunigte Bearbeitung [...]“, erboste er sich gegenüber dem BKA. Und siehe da, der Grimm wirkte. „Der Begriff „auskunftsfähig“ bezieht sich auf die Auskünfte an Dritte. „Betroffene selbst erhalten aus VNP-Beständen grundsätzlich Auskunft“, teilte das BKA zwei Monate später dem Gericht mit und überstellte neben der VNP-Akte gleich auch noch einen Vorgang der Abteilung Terrorismusbekämpfung (TE) und des Staatsschutzes.

Diese Akten, die, man erinnere sich, lediglich „personenbezogene Daten im geringstmöglichen Umfang“ enthalten sollten, umfaßten circa 500 Blatt und waren höchst aufschlußreich: So fanden sich neben Kopien von diversen Veröffentlichungen von Weber zum Beispiel unter dem Betreff „Bekämpfung anarchistischer Gewalttäter“ Aktenvermerke der Abt. TE über ein Gespräch das 1974 für die Schülerzeitung Tomate mit dem Betreiber eines Segelflugplatzes geführt worden war. Zur Vorbereitung eines Interviews, das der Berliner Leitende Kriminaldirektor Manfred Kittlaus ihr 1979 für eine Stern-Reportage zum Drogenhandel durch türkische Rechtsextremisten gewährte, hatte er zuvor ihre Akte angefordert. Mit dem Vermerk „Während des Interviews gewann Herr Kittlaus den Eindruck, daß G.W. nicht ahnte oder merkte, daß man sich über ihre Person vorher ausgiebig informiert hatte. Links- bzw. Anti- Rechts-Tendenzen wurden im Gespräch deutlich erkennbar“ wurde die Akte anschließend „an TE zurück“gegeben. Auch nach einem Interview in der Rauschgiftabteilung des BKA 1985 mußte der interviewte Beamte Terstiege anschließend einen Vermerk über Inhalt und Dauer des Gesprächs verfassen, das postwendend in der Kriminalakte landete – usw. usw. Die journalistischen Aktivitäten der Gaby Weber wurden über all die Jahre peinlich genau verfolgt. Sie stand „unter Dampf“, wie es im Jargon so schön heißt.

Zum Schluß doch noch ein Sieg des Rechtsstaats? Weit gefehlt! Nicht nur, daß die Akten des Verfassungsschutzes und der Berliner Polizei auch nach nunmehr 15 Jahren Verfahrensdauer noch unbekannt sind. Auch das BKA hatte vor der Aktenüberstellung Mitte 1995 schnell noch die Notbremse gezogen. Teile der Akte waren zuvor vernichtet worden, wie sich aus der Paginierung der Seiten ergibt. Weitere Aktenteile hat die Generalbundesanwaltschaft, der plötzlich einfiel, daß sie die Herrin des Verfahrens sei, rechtzeitig an sich gezogen, da Gaby Weber in einem bisher nicht näher bezeichneten Verfahren als Zeugin gebraucht werde.

Die Anwälte der heute 42jährigen Gabriele Weber haben mit Datum vom 10. 12. 95 wegen der widerrechtlichen Vernichtung von Aktenmaterial Strafanzeige gegen das BKA gestellt und zu Beginn der vergangenen Woche auch in diesem Falle eine Verfassungsklage eingereicht – die dritte. Eggert Schwan, einer der Anwälte, ist optimistisch. Den Zenit, so meint er, habe man erreicht. „Länger als die bisherigen 15 Jahre dauert es nicht mehr.“

Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber des Informationsdienstes Bürgerrechte & Polizei/ CILIP in Berlin.

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