: Das Kloster als Marktlücke entdeckt
Bei einer Verkaufsmesse in Frankreich gibt es alles, was das Herz des Klerikers höher schlagen läßt ■ Aus Chartres Dorothea Hahn
Im Mittelalter pilgerten die Gläubigen zu Fuß durch Frankreichs Kornkammer zu der wuchtigen Kathedrale im Herzen von Chartres. In diesen Tagen kommen die Priester und Nonnen im eigenen Wagen und zweigen schon ein paar Kilometer vor der Kleinstadt von der Schnellstraße ab. „Religio '96“ weist ihnen dort ein blau-gelbes Schild den Weg zu der weltweit einzigen Fachmesse für Kirchenausstatter.
200 Aussteller aus Europa und Japan zeigen dort seit Sonntag, was sie den christlichen Kirchen zu bieten haben. Ihre Produktpalette reicht von der Heizung für große feuchte Räume, über elektronische Bibeln, rußfreie Kerzen, bemalte Fenster, Krippen bis hin zu neuen Duftrichtungen beim Weihrauch. „Ich wollte Anbietern und Kunden Transparenz verschaffen“, sagt Nicole Peyronnet, einstige Wirtschaftsjournalistin, die im vergangenen Jahr die erste „Religio“ organisiert hat. Sich selbst bezeichnet sie als „traditionelle französische Katholikin“. Doch es war nicht religiöses Empfinden, das sie auf die Idee mit der Messe brachte, sondern eine kühle Marktanalyse. „Es gab bisher nur regionale Ausstellungen – spezielle Artikel für den Bedarf italienischer Priester zum Beispiel –, aber nirgends eine Überblicksveranstaltung“, stellte sie fest.
Der orthodoxe Mönch Jean sitzt in seiner schwarzen Kutte in der Caféteria der Messehalle. Für das Gebetszentrum, das demnächst in den südfranzösischen Cevennen eröffenen wird, sucht er Möbel, Kelche, Bilder ... „Die Preise sind jetzt noch nicht wichtig“, sagt er, nachdem er über den „Boulevard der Schöpfung“ in der Mitte der Messehalle geschlendert ist: „Ich will erst einmal sehen, was es gibt, und Kontakte knüpfen.“
„Ein interessanter Markt“, sagt ein Matratzenhändler über die Klöster und Missionen, „sie haben zwar oft kleine Budgets, aber sie sind treu, und sie bezahlen die Rechnung.“ Er hat nur Achtzig- und Neunzig-Zentimeter-Matratzen ausgestellt – breitere Liegeflächen verlangen die religiösen Kunden nicht.
Der Tonfachmann in Gang 2 hat Kirchen vom Pilgerzentrum in Lourdes bis zur kleinen Dorfkapelle beschallt. „Die Priester achten vor allem auf diskrete Installationen“, erklärt er vor seinen flachen Mikrofonen für den Altar und den unauffällig geformten Lautsprechern, die „jedem Gläubigen bei der Predigt das Gefühl geben sollen, daß der Geistliche direkt neben ihm sitzt“. Natürlich sei die Kathedrale von Chartres jahrhundertelang ohne Elektronik ausgekommen, aber: „Da gab es ja auch kein Fernsehen.“ Das Schmuckstück seines Standes ist ein zwei Meter hoher Turm, der vom CD-Player über das doppelte Kassettendeck, das Mischpult, den Verstärker und ein CD-Rom-Lesegerät alles enthält, was der moderne Priester benötigt – mit Fernbedienung, versteht sich.
Gegenüber wirbt der normannische Wallfahrtsort Montligeon mit einem Videoclip. „Wenn Sie einen Trauerfall haben, vergewaltigt wurden oder Aids haben, können Sie nach Montligeon kommen, um neue Kraft zu schöpfen“, erklärt der Repräsentant des Zentrums.
Von der Dienstkleidung für den Priester lebt das belgische Familienunternehmen Slabbinck schon seit vier Generationen. Moden setzen sich in der Branche langsam durch und halten sich außergewöhnlich lange. „Zehn bis zwanzig Jahre lang“ könnte die beige Priesterstola mit dem Ostermotiv im Gebrauch bleiben, die er dieses Jahr auf den Markt gebracht hat, glaubt der Firmenchef, der bis zur Einführung der Messe seine Produkte im Postversand vertrieben hat.
Der Kirchenbekleidungsmarkt ist klein und langsam. „Mit zwei bis drei Alben kommt ein Priester ein paar Jahre aus“, sagt Slabbinck, „dann aber verschleißt der Stoff, und die Priester brauchen etwas Neues.“ Manchmal registriert die Branche auch ganz große Aufträge – solche wie etwa die 300 Mitren, die der Vatikan jüngst als Kopfschmuck für seine Bischöfe bestellt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen