Kroatische und muslimische Nationalisten sichern sich die Macht

■ Hinter dem Führungswechsel in der bosnischen Regierung verbergen sich tiefe Differenzen über die Zukunft des Landes

Sarajevo (taz) – Haris Silajdžić, Bosniens zurückgetretener Ministerpräsident, ahnte wohl schon, was vor sich ging. Im Gespräch mit der taz am vergangenen Samstag wirkte der sonst so agile und dynamische Ministerpräsident müde und erschöpft. Seine beiden wichtigsten Kontrahenten, der bosnische Präsident Alija Izetbegović und der Präsident der kroatisch- bosmuslimischen Föderation, Kresimir Žubak, steckten zu diesem Zeitpunkt gerade ihre Köpfe zusammen. Schon seit Tagen hatte die Lunte am Stuhl des Ministerpräsidenten geschwelt.

Der Nachfolger war offenbar schnell gefunden. Der bisherige Minister für die Beziehung zu den internationalen Organisationen, Hasan Muratović, gilt als bedingungsloser Gefolgsmann des Präsidenten Izetbegović. Er ist wie sein Vorgänger im Amt Mitglied der muslimischen Sammlungsbewegung SDA.

Der „militärische Kampf“, so witzelte Silajdžić beim Hintergrundgespräch am Samstag nachmittag noch, sei durch einen nicht minder „zermürbenden politischen Kampf“ ersetzt worden. Der Konflikt mit der „kroatischen Partei“ – damit ist nicht nur die Kroatisch Demokratische Bewegung (HDZ) in Bosnien gemeint, sondern auch der kroatisch-bosnische Staat „Herceg-Bosna“ – habe sich verschärft. Vordergründig sei es dabei um die Bildung eines neuen Kabinetts unter seiner Leitung gegangen. Im Hintergrund aber stehe die Frage eines unterschiedlichen Verständisses über die Demokratisierung und die Rolle der Zentralmacht im künftigen Bosnien-Herzegowina.

In der Tat hatte das Parlament der Föderation in den letzten Wochen unterschiedliche Signale bezüglich beider Fragen ausgesandt. Zuerst folgte es dem Vorschlag des ehemaligen Philosophieprofessors Silajdžić, sechs Ministerien und einen Premier für die Föderation zu schaffen. Der Vorschlag der kroatischen HDZ, mit fünf Ministerien und einem Minister ohne Portefeuille auszukommen, wurde von der Mehrheit der muslimischen Abgeordneten des SDA zuerst abgelehnt, später aber unterstützt. Silajdžićs Rücktritt war nur noch eine Frage der Zeit. Die Kroaten, so Silajdžić, wollten eben möglichst viel Substanz des eigenen bosnischen Staates „Herceg- Bosna“ in die neue Föderation miteinbringen. Und die Führung des SDA wolle wohl möglichst viele Positionen in dem von ihr kontrollierten Gebiet behaupten.

Nur einige Türen weiter, auf dem gleichen Gang im Gebäude der Präsidentschaft, hat Kresimir Žubak sein Büro. Der aus Zentralbosnien stammende schlanke Mitvierziger ist nach wie vor nicht nur Präsident der Föderation, sondern auch Präsident des nichtanerkannten kroatischen Teilstaates „Herceg-Bosna“.

Es ginge ihm darum, soviel als möglich von der Identität der Kroaten in dem zukünftigen Staat Bosnien-Herzegowina einzubringen, sagt er. Eine starke Zentralgewalt würde an den Grundfesten von „Herceg-Bosna“ rütteln. Eine demokratische Zukunft könne in Bosnien-Herzegowina nur entstehen, wenn „wir Kroaten Rechte für unser kulturelles und politisches Überleben sichern können“, so Žubak.

Auch in der Muslimpartei SDA will eine Mehrheit in dem von ihr kontrollierten Teilstaat die eigenen Machtpositionen behalten. Der Krieg hat auf allen Seiten eine eigene Bürokratie hervorgebracht, eine eigene Armee, ein eigenes System. Silajdžić dagegen will die Teilstaaten verschmelzen und die Option offenlassen, die serbisch- bosnische Republik in das Gebilde der kroatisch-bosnischen Föderation zu integrieren. Izetbegović und Žubak dagegen setzen auf einen Kompromiß der Bürokratien und der nationalen Parteien.

Mit der Bestellung von Hasan Muratović hat Izetbegović den Mann gefunden, der mit dem Kroaten wie Žubak auf einer Wellenlänge liegt. Denn der neue Premier gehört zum Lager der muslimischen Nationalisten. Schon wird zwischen beiden Seiten darüber geredet, eine „einverständliche Lösung in Mostar“ zu finden. Westmostar bliebe dann kroatisch, Ostmostar würde muslimisch kontrolliert. Silajdžić will angesichts dieser Entwicklung nicht aufgeben. Er bereite sich darauf vor, an der Spitze eines Bündnisses der demokratischen Oppositionsparteien in den im Sommer beginnenden Wahlkampf zu ziehen, hoffen Oppositionspolitiker in Sarajevo. Dies würde eine Spaltung der muslimischen SDA zur Folge haben. Silajdžić hatte bei dem Gespräch am Samstag noch dazu geschwiegen. Doch er deutete an, daß er wisse, daß er bei der Bevölkerung so populär sei wie nie zuvor. Erich Rathfelder