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Römer, Retter, Reviere

■ Alles, was in den Querschnitt an Filmen nicht mehr hineinpaßte

Die Hermannsschlacht

Dem spitteligen Jüngling, der erläuternd die Filmhandlung begleitet, mag man es kaum abnehmen: Dieser Hungerhaken soll den Germanenhäuptling Arminius-Hermann darstellen, dessen Horden dereinst, etwa um Christi Geburt herum, dem römischen Weltreich die erste große Schlappe beibrachten. Und doch, Flokkatipelz und Hörnerhelm weisen den Grünschnabel eindeutig als den sagenumwobenen Cheruskerfürsten und Hauptdarsteller des neuen deutschen Low-Budget-Comedy-Epos Die Hermannsschlacht aus.

Daß uns das Jungfilmerteam aus dem Dunstkreis der Düsseldorfer Kunsthochschule hier einen lustigen Film kredenzt, macht gleich darauf ein Schwenk ins Römerlager klar: Rosaweiße Fettwänste aalen sich im Garnisonsbad, lassen sich die feisten Leiber massieren und von lockigen Knaben die Zehennägel schneiden. Sonderlich komisch ist das allein noch nicht, und auch das untertitelte Schullatein der Besatzer vertreibt die Zeit kaum anregender als die Lektüre von Ianua Nova.

Wohl als intellektuelle Anreicherung des lahmen Historienulks ist das Auftreten der Dramatiker Kleist und Grabbe gedacht. Beide hatten sich ihrerseits am Leben des Cheruskers und seiner getreuen Gattin Thusnelda versucht. Ungerührt spazieren sie parlierend durch den Teutoburger Wald, während um sie herum – oh wundersame Vermischung der Zeitebenen – Römer und Germanen mit Plastikschwertern aufeinander eindreschen. Was das soll, wissen wohl nur die Götter, vorderhand wirkt es, wie auch das Auftreten einer Osnabrücker Reisegruppe im Schlachtengewühl, herzlich beliebig.

Echter Monty-Python-würdiger Schalk blitzt aus diesem Film nur sporadisch hervor. Am ehesten noch in der Schlußszene, einem technicolorstrahlenden Bankett im Palast des Augustus, das nach bester Sandalenfilmtradition in eine Apotheose auf den Heiland und Erlöser mündet. Jörg Königsdorf

Abaton

Husar auf dem Dach

Was sagt man dazu? Sowas soll es noch geben? Einen echten Mantel-und-Degen-Film mit echten Kavalieren, holden Frauen, edlen Pferden und reichlich Action? Keine störenden Modernisierungsversuche, keine pseudohistorische Schlachtplatte? Jugendliche Fernseherinnerungen werden wach. Vorbei, hätte man gedacht, und kommt auch nicht wieder. Irrtum! Es gibt sie noch, diese Sorte Abenteuerfilm.

Der Husar auf dem Dach heißt der aufrechte Streiter gegen das cineastische Vergessen und ist mit 52 Millionen Mark Produktionskosten auch gleich „der bisher aufwendigste Film der französischen Filmgeschichte“ geworden. Wenn schon, denn schon. Diese für europäische Verhältnisse außerordentliche Gigantomanie (die man dem Film gar nicht ansieht) ist dem Verfasser des Pressehefts wahrscheinlich zu Kopf gestiegen, so daß er ebendort titelt: „Die Produktion in einigen Zahlen oder Die Folgen der Leidenschaft eines Regisseurs und der Begeisterung eines Produzenten für großes mitreißendes Kino“. Die Folgen! Klingt irgendwie, als sei das Ganze ziemlich in die Hose gegangen, und wir, die nostalgischen Zuschauer, dürfen es ausbaden.

Aber nichts dergleichen, das Geld ist gut angelegt, die Zielgruppe wird angemessen bedient. Ein schüchterner, aber stolzer junger Held (Olivier Martinez), italienischer Husarenoberst, fechtet und reitet durch die choleraverseuchte Provence des Jahres 1832, immer auf der Flucht vor den österreichischen Häschern. Den Kampf für die Freiheit im unbeirrbaren Blick, hilft er Kranken, rettet uneigennützig die schöne, geliebte, aber leider verheiratete Frau (Juliette Binoche) und springt und läuft und – wie gesagt – reitet und fechtet. Dazu schöne Landschaft, malerische Städte und ein Licht, so warm und weich, daß man sofort einen Urlaub in der Provence buchen möchte. Außerdem auf der Habenseite: schöne Menschen, einen Tick Authentizität fürs Herz (Martinez und Binoche wurden bei den Dreharbeiten ein Paar) und mit Jean-Paul Rappenau ein im Ausstattungskino versierter Regisseur (Cyrano de Bergerac). Alles drin, was das Herz begehrt. Und wer da was zu meckern hat, ist eindeutig ein Spielverderber. Sven Sonne

Holi, Zeise

Rauliens Revier

Früher war alles besser! Da sind sich die Kaffeekränzchen-Damen einig. Heute gibt es keine Arbeit, dafür aber massenweise Ausländer, Armut, Streit und Kriminalität im Duisburger Stadtteil Bruckhausen.

Ob diese Zustände auch gute Seiten haben, wollte die Regiestudentin Alice Agneskirchner wissen. Für vier Wochen zog sie 1994 mit ihrem Team nach Bruckhausen und filmte und filmte. So lange, bis die Leute sich daran gewöhnt hatten, sich ungehemmt vor der Kamera bewegten und äußerten oder sich gar zu Schauspielern mauserten.

Was die Filmerin inhaltlich vorfand, entspricht weitgehend dem, worauf sich das entrüstete Kränzchen in einer Szene einigt. Außerdem fand sie: Alkoholismus, Dreck, Aussichtslosigkeit, Wut, aber auch Gelassenheit, Pragmatismus und den Willen, irgendwie mit sich und der Welt klarzukommen.

Vor allem fand Agneskirchner jedoch Hans Raulien, den Polizisten. Seine Person steht im Mittelpunkt des ethnographischen Filmprojekts, er ist es, der die kaputte Welt wie ein Ersatz-Pfarrer zusammenhält. In Rauliens Ein-Mann-Revier laufen die Bruckhausener Schicksale zusammen. Ob Ramona und ihr Vater, die einen Moderator für ihre Aussprache brauchen, ob die marokkanische Familie, die dem 16jährigen Sohn Ärger macht, als der sich mit einer geschiedenen, kinderreichen Frau einläßt – Raulien kümmert sich um alle.

Den Job hat der 59jährige sich irgendwie selbst eingebrockt. Er macht ihn so gut wie möglich, ohne sich aufzuopfern. Und er bekennt, daß das Vertrauen der Leute von praktischem Nutzen für ihn und seine Ordnungshüterei ist.

Agneskirchner dokumentiert weit mehr als sie inszeniert. Technisch sträubt sie sich vehement gegen alles, was man als „künstlich“ bezeichnen könnte. Wackelnde, unscharfe, dunkle Bilder, Autolärm, der die Gespräche übertönt, – das alles gehört zum Konzept eines Filmes, der die meiste Zeit graue Gesichter vor grauem Hintergrund zeigt. Nele-Marie Brüdgam

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