: PDS-Bürgermeister Theel macht grüne Politik
■ In Neuruppin streitet die SPD/CDU-Opposition für harte Marktwirtschaft
Otto Theel ist ein leiser Mann. „Ich gehöre eher zu den Moderaten“, sagt er über sich – andere nennen dies „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“. Doch dieser Eindruck täuscht. „Wenn es sein muß, habe ich auch ein dickes Fell. In dem Job wird man sowieso vor allem geprügelt.“ Dabei war der Job hart umkämpft, und Otto Theel mußte sich gegen fünf Mitbewerber erst einmal durchgesetzen. Das ist ihm mit Bravour gelungen, und deshalb hat die Stadt Neuruppin, 60 km nordwestlich von Berlin, seit den Kommunalwahlen im Dezember 1993 einen Bürgermeister, der der PDS angehört. Wer sich deshalb Neuruppin als eine sozialistische Oase in einer vom Kapitalismus verwüsteten Landschaft vorstellt, wird von Otto Theel jedoch enttäuscht. „Es gibt kein Geld, und wir machen hier ja auch keine große Politik.“ Kleine Politik aber schon. Doch die hat mit der PDS-Mitgliedschaft des Bürgermeisters nicht viel zu tun. „Rund 100 Millionen Mark“, so Otto Theel stolz, „sind in der Altstadtsanierung bereits verbaut worden. Fünf Millionen Fördermittel hat die Stadt dazugetan.“
Tatsächlich haben sich in Neuruppin die Verhältnisse in den letzten fünf Jahren fast umgedreht. Kurz nach der Wende sah die Stadt erheblich schlechter aus, als es ihr in Wirklichkeit ging. Jetzt sieht der Geburtsort Theodor Fontanes am Neuruppiner See schon richtig proper aus. Die Häuser an der Karl-Marx-Straße, der Einkaufs- und Flaniermeile des Ortes, sind fast alle restauriert, die hübsche Altstadt wird von etlichen Baukränen überragt. Neuruppin ist eines der regionalen Entwicklungszentren Brandenburgs, in das auch das Land viel Geld investiert und das nach und nach als Verwaltungszentrum ausgebaut wird. Was der schöne Schein verbirgt, ist eine Arbeitslosigkeit von rund 20 Prozent und die Ratlosigkeit, was man dagegen tun könnte.
Vor der Wende hatte Neuruppin einen großen Arbeitgeber, aus dessen personeller Hinterlassenschaft sich auch heute noch die politische Elite der Stadt rekrutiert. Die VEB Elektrophysikalischen Werke beschäftigte knapp 4.000 Menschen. Kurz nach der Währungsunion war der Laden dicht. Auf dem Werksgelände ließen sich mehrere mittelständische Betriebe aus dem Westen nieder. Dort fanden aber nur 600 einen neuen Job. Viel zuwenig, wie die Opposition im Stadtrat findet und deshalb dem Bürgermeister vorhält, er tue zu wenig für neue Industrieansiedlungen. Wortführer sind der Fraktionschef der SPD, Erhard Schwierz, und der Sprecher der CDU, Reinhard Sommerfeld.
Beide kennen Otto Theel aus alten Tagen denn alle drei hatten mit dem VEB Elektrophysikalische Werke was zu tun. Theel war seit Mitte der 80er Jahre in der SED- Kreisleitung, und der für den VEB zuständige Wirtschaftssekretär Schwierz (SPD) war der Betriebsratsvorsitzende, und Sommerfeld (CDU) war bis 1987 stellvertretender Werksleiter und sogar Chef der Betriebskampfgruppe.
Sommerfeld und Schwierz wollen nun durchsetzen, daß Bürgermeister Theel, der zur Zeit ebenfalls das Wirtschaftsdezernat verwaltet, von dieser Tätigkeit entbunden – andere sagen entlastet – wird und Neuruppin sich einen neuen Wirtschaftsdezernenten sucht, der „Schwung in den Laden bringt“. Dabei hat Sommerfeld, der mittlerweile ein prosperierendes Kleinunternehmen für Elektrogeräte, Kücheneinrichtungen und Hi-Fi-Ausstattungen betreibt, seinen ursprünglichen Vorwurf, ein PDS-Bürgermeister sei per se ein Investitionshindernis, längst zurückgenommen. „Mit der PDS hat das nichts zu tun“, sagt er heute. „Der Otto ist einfach nicht durchsetzungsfähig genug.“ Sommerfeld, der den VEB schon 1986 verließ, um einen selbständigen Handwerksbetrieb zu gründen, ist im Rückblick ganz glücklich, daß die SED ihn 1987 unehrenhaft entlassen hat. Andere schafften den Absprung erst sehr viel später. „Der halbe Stadtrat“, so Dieter Nürnberg, einer der beiden Bündnisgrünen im Stadtparlament, „war doch früher in der SED.“ Schon deshalb seien die ideologischen Auseinandersetzungen sehr moderat. Dazu komme, so Nürnberg, daß „Theel als PDS-Mann kaum auffällt“.
Mit zusammengebissenen Zähnen muß Theel statt dessen Maßnahmen durchsetzen, die vor allem in seiner eigenen Fraktion für Empörung sorgen. So ließ er vier Kindertagesstätten schließen, „weil es nicht mehr genügend Kinder gab“. Dazu, sagt er, „war ich nach Landesgesetz verpflichtet. Das kann man mir doch jetzt nicht persönlich ankreiden.“ Genauso ist er verpflichtet, den Haushalt der Kommune auszugleichen, und muß deshalb wohl oder übel im öffentlichen Dienst sparen. „Jetzt beschimpft mich die ÖTV als Dickkopf, weil ich ihre Vorstellungen nicht akzeptieren konnte.“ Theel setzte statt dessen in seiner Verwaltung ein VW-Modell durch. Er kürzte Arbeitszeit und Gehalt zunächst für zwei Jahre um jeweils 20 Prozent und vermied dadurch Entlassungen. „Das müssen wir jetzt verlängern, weil die Kassenlage sich nicht bessert.“ Dafür bräuchte man eben mehr Industrieansiedlung und dadurch Steuereinnahmen sowie einen Bevölkerungszuwachs.
Dem CDU-Mann Sommerfeld ist Theel da einfach zu grün. „Der ist doch völlig in der Hand des Dezernenten für Bau, Umwelt und Entwicklung, einem Grünen. Die würden hier am liebsten alles zum Naturschutzgebiet erklären.“ CDU und SPD wollen statt dessen den See richtig nutzen, einen Yachthafen bauen und die Altstadt so sanieren, daß Neuruppin für wohlhabende Pendler aus Berlin interessant wird. Da Neuruppin nicht weit von der Autobahn Berlin–Hamburg entfernt liegt, „müsse man nur noch die Geschwindigkeitsbegrenzung aufheben“, so Sommerfeld, „dann ist man in 25 Minuten in Berlin“.
Theel hingegen setzt auf die behutsame Entwicklung. „Zu starker Lärm oder Geruchsbelastung machen den potentiellen Tourismusstandort ja gleich unmöglich.“
Für den grünen Arzt am Landeskrankenhaus Ruppin, Dieter Nürnberg, sind die CDU/SPD- Vorstellungen völlig indiskutabel. Ein „Nadelstreifen-Wirtschaftsdezernent kostet nur Geld und kann auch nichts Sinnvolles tun“.
In einem Punkt sind sich in Neuruppin jedoch alle Lokalpolitiker einig: der Konflikt um die Zukunft der Stadt hat mit der Parteizugehörigkeit der verschiedenen Exponenten nichts zu tun. „Wenn die PDS einen guten Vorschlag macht“, sagt der frühere Betriebskampfgruppenchef Sommerfeld, „muß ich mich nur eines fragen: warum hab' ich den Vorschlag nicht schon früher gemacht?“. Jürgen Gottschlich
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